Philosophie des Mitsingkonzerts
Ein international tätiger Profi-Chor, der vom Steuerzahler subventioniert wird, sagt Simon Halsey, muss der Allgemeinheit zurückgeben, was er von ihr bekommt. Halsey ist ein Community Worker aus Herz und Überzeugung. Das ist seine zweite Leidenschaft neben der Arbeit an der Seite der Größten der klassischen Musik. In Birmingham baute er seit 1982 vier Chöre unterschiedlicher Anspruchsgrade auf und riss die ganze Stadt in einen Taumel musikpädagogischer Aktivitäten. Halsey will die Menschen vom Fernseher weglocken und zum aktiven Musizieren verführen. Dafür verlieh ihm die Universität von Birmingham den Ehrendoktor. Es war selbstverständlich, dass er seine Ideen und Erfahrungen auch mit nach Deutschland brachte, als er im April 2001 die Leitung des Rundfunkchores Berlin übernahm. 2010 wurde Halsey für sein Engagement mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.
Das Besondere an den Mitsingkonzerten ist, dass Amateure hier auf einer regelmäßigen Basis einmal im Jahr mit einem Profi-Chor unter professionellen Arbeitsbedingungen proben und singen können.
Der Rundfunkchor hatte bereits seit den 90er Jahren verschiedene Initiativen gestartet, die eine Brücke zwischen der großen Gemeinde der Amateursänger und den Profis schlagen sollten, aber auch diejenigen, die keinen Zugang zur klassischen Musik haben, für Chorgesang begeistern sollten. Mit den Mitsingkonzerten haben diese Initiativen nun eine feste und erfolgreiche Form gefunden, deren Resonanz weit über Berlin und sogar über Deutschland hinaus reicht. 2010 wurde das Erfolgsmodell Mitsingkonzert erstmals auch in das römische Theater von Aspendos in der Türkei exportiert und fand seither auch in Budapest und Wien statt.
Die Faszination des Riesenchores
Im allgemeinen Musikleben Berlins haben die Mitsingkonzerte eine ähnliche Bedeutung wie die klassisch-romantische Tradition der Sängerfeste. Mit ihren Massenaufführungen lassen sie anspruchsvolle Musik wieder aufleben und bieten dem Publikum die einmalige Möglichkeit, die Klanggewalt eines Riesenensembles in Werken – die zum Teil für solche große Besetzungen geschrieben wurden – selbst zu erleben.
Das gilt nicht nur für die unvergesslichen Klang-Eruptionen des Verdi-Requiems (2008) oder der Einleitung von Händels »Zadok the Priest« (2007), die dem Publikum Schauer über den Rücken jagten. Vor allem im piano-Bereich gilt die Regel: Je größer ein Chor ist, desto leiser kann er singen. Dann spürt man die Vibrationen der Schallwellen in allen Poren der Haut. Und zudem lassen die Mitsingkonzerte bei den Proben wie beim Konzert und in den Pausen die gemeinschaftsstiftende Funktion des Gesanges spüren. Das wurde besonders eklatant bei Werken wie Carl Orffs »Carmina Burana«. Als geniale Spielmusik sind sie so geschrieben, dass sie von Amateuren leicht bewältigt werden und damit rasch zu Erfolgserlebnissen und Gemeinschaftsgefühl führen. Das vermochte selbst Skeptiker 2005 in der Berliner Philharmonie zutiefst zu bewegen. Inzwischen haben Werke wie Brittens »War Requiem« (2011) gezeigt, dass auch hochanspruchsvolle Literatur des 20. Jahrhunderts im Mitsingkonzert in hoher Qualität aufgeführt werden kann.