Interviews
Auf ein Wort mit Vivian Keischgens

Wir nähern uns dem Ende der Jubiläumssaison und möchten Euch einmal die Powerfrau vorstellen, die mit vollem Körpereinsatz dafür gesorgt hat, dass die Jubiläumskonzerte zu unvergesslichen Erlebnissen werden konnten! Und voller Körpereinsatz ist dabei tatsächlich ernst gemeint, denn neben der Koordination aller Klangkörper, Termine und der Logistik gehörte nicht selten auch Bühnenauf- und abbau dazu. Vivian Keischgens, studierte Musikvermittlerin und Hobby-Saxophonistin in der Berliner Humboldt-Bigband, kam im Oktober 2024 zum Rundfunkchor-Team als Projektleiterin für die Jubiläumssaison hinzu. Vorher arbeitete sie unter anderem für das Kinder- und Jugendchorprogramm Vokalhelden der Berliner Philharmoniker, für die NGO KulturLeben Berlin und für das Berliner Tonstudio Rosekick. In der Schule war die gebürtige Rheinländerin eher Team Orchester, spätestens seit den Vokalhelden ist sie Team Chor – ein Glück für uns! Wie sich die Arbeit an der Jubiläumssaison gestaltete, welche Herausforderungen und Höhepunkte es gab, könnt Ihr hier nachlesen. Und dann freuen wir uns, Euch beim Abschlusskonzert »The Art of Choral Music« am 31. Mai 2025 im Konzerthaus zu sehen.
Was hat Dich daran gereizt, die Projektleitung für die Jubiläumskonzerte zu übernehmen?
Nachdem ich in den letzten Jahren vermehrt in kleineren Einrichtungen gearbeitet habe, war es für mich spannend, mal wieder an eine große Kulturinstitution zurückzukehren. Außerdem habe ich bis jetzt immer nur im Bereich Kinder- und Jugendchor gearbeitet, nicht für einen Profichor, schon gar nicht für einen, der bereits auf eine 100-jährige Geschichte zurückblicken kann. Als ich ins Team kam, standen die Konzerte für die Saison schon fest – ich hatte inhaltlich also zwar nicht mehr so viel Spielraum, konnte aber sehen, dass das sehr spannend werden würde, sodass ich Lust bekommen hatte, diesen besonderen Geburtstag mitzufeiern und mitzugestalten.
Was waren denn die Herausforderungen dabei?
Eine große Herausforderung war natürlich die Tatsache, dass ich so spät erst dazu gestoßen bin. Ich habe die Stelle, die sehr kurzfristig ausgeschrieben war, am 1. Oktober angetreten, am 2. war bereits das erste Jubiläumskonzert, welches noch von meiner Kollegin Claudia Thao organisiert wurde. Ich musste mir also ziemlich schnell alles Wichtige aneignen – die ganze Geschichte des Chores, die Inhalte der Saison… Das war ein ganz schöner Sprung ins kalte Wasser! Die ersten Monate bis zum 2. Jubiläumskonzert waren dann ziemlich sportlich und sehr mit der heißen Nadel gestrickt. Trotz der Herausforderungen hat das aber auch viel Spaß gemacht und ich konnte sogar einige Ideen mit einbringen: Die Idee zur Fotoausstellung über 100 Jahre Rundfunkchor Berlin kam zum Beispiel von mir.

Was gehörte neben den vier Konzerten noch zum Jubiläumsprogramm dazu?
Schon die Saisonbroschüre hatte einen besonderen Rahmen und war etwas umfangreicher angelegt als sonst, da sie unter anderem in 100 Momenten durch die Geschichte des Chores führte. Das wurde ebenso in den sozialen Medien, auf der Website und auch in den Rahmenprogrammen der Konzerte im Laufe der Saison immer wieder aufgegriffen. Ich habe im Rahmen des Jubiläums noch einen Ideenwettbewerb koordiniert, den sich meine Vorgängerin Annabell Patt ausgedacht hatte. Dazu gehörten u. a. die Sammlung und Vorsortierung aller eingereichten Ideen, die Koordination der Jurymitglieder und der Auswertung… Der Ideenwettbewerb war uns ein großes Anliegen, denn wir können zwar auf eine 100-jährige Tradition zurückblicken und haben viel Wissen über Konzertformate angehäuft und auch schon einige Crossover-Projekte vorzuweisen, dennoch sollten wir uns immer wieder fragen, wie ein »Chor der Zukunft« aussehen kann und wie man Menschen jenseits des Standardpublikums noch erreichen könnte. Es wurden viele spannende Ideen eingereicht und beim Abschlusskonzert am 31.5. wird die Gewinneridee vorgestellt. In einer zum Rahmenprogramm des Konzerts gehörenden Podiumsdiskussion wird dazu noch diskutiert, auf welche Hürden wir bei der Ausschreibung des Ideenwettbewerbs gestoßen sind und warum es doch wieder kaum gelungen ist, Menschen außerhalb unserer »Bubble« zu erreichen.
Was gehört denn genau dazu, die Projektleitung für ein Konzert zu übernehmen? Was sind Deine Aufgaben?
Ich finde das gar nicht so leicht, zu beschreiben, denn jeder Tag sieht ein bisschen anders aus. Man fühlt sich manchmal wie ein Feuerlöscher, gerade, wenn es in die heiße Phase kurz vor dem Konzert geht. In erster Linie gehört viel Koordinierungsarbeit dazu: Meetings müssen organisiert, die Essenz des Besprochenen rausgefiltert, daraufhin To-Do-Listen erstellt werden… Beim dritten Jubiläumskonzert »Flying Mozart« gab es zum Beispiel viele Teams zu koordinieren: die Flying Steps, den Rundfunkchor, die Deutsche Streicherphilharmonie, unser künstlerisches Team – und alle arbeiten ein bisschen anders. Gerade dieses Projekt hatte hinter der Bühne einen fast größeren Crossover-Charakter als auf der Bühne :-) Da prallen manchmal Welten aufeinander. Meine To-Do-Listen beinhalteten neben der Kommunikationsarbeit aber auch viele Kleinigkeiten wie die Organisation von Klavierstimmung, Raumbuchungen, Instrumententransporte, Bühnenaufbau, die Beschilderung der labyrinthartigen Backstagebereiche der Spielorte. Und natürlich muss auch nach einem Konzert alles wieder abgebaut und aufgeräumt werden – das machen wir meistens selbst…
Wir stehen kurz vor dem Abschlusskonzert – kannst Du schon sagen, was Dein Highlight der Saison war?
So anstrengend das für uns alle war: »Flying Mozart« war einfach ein cooles Projekt! Es war für mich auch das erste und einzige Crossover-Projekt mit dem Rundfunkchor und es hat so viel Spaß gemacht und auch tolles Feedback von den Mitwirkenden und vom Publikum bekommen. Es war wunderbar, zu sehen, wie sich diese Welten überschnitten haben: Tänzer:innen, Sänger:innen und die jungen Musiker:innen aus dem Orchester, die sich über so viele Tage beim stundenlangen Proben verausgabt und sich am Ende des Tages doch immer für die tolle Zeit bedankt haben, weil sie es alle so großartig fanden. Alle haben in dieses Projekt so viel Arbeit gesteckt, da ist ein richtiges Gemeinschaftsgefühl entstanden – und am Ende ging alles auf!

Und worauf kann man sich beim Abschlusskonzert freuen?
Das Abschlusskonzert wird wieder etwas traditioneller: Es werden A-cappella-Stücke erklingen, aber auch Werke mit großem Orchester. Die Geschichte des Rundfunk-Sinfonieorchesters ist ja noch ein Jahr länger als die des Rundfunkchores, da gab’s entsprechend viele gemeinsame Projekte in den letzten Jahrzehnten, so auch dieses. Das Konzert wird von einem Rahmenprogramm begleitet: Wir beginnen mit einer Podiumsdiskussion über den Ideenwettbewerb, später wird der tolle Film »human requiem in Eleusis« gezeigt, die Foto-Ausstellung wird wieder zu sehen sein und natürlich ist die ganze Zeit für Bewirtung gesorgt. Wenn man möchte, kann man sich also bereits ab nachmittags bis zum Ende des Konzerts im Konzerthaus aufhalten und an einem kleinen Festivaltag teilnehmen!
Welche Bedeutung hat das Jubiläum in Bezug auf die Berliner Kulturpolitik?
Ich glaube, eine ganz große! Zum einen ist in den letzten 100 Jahren kulturell und politisch vieles passiert, bei dem der Chor eine Rolle gespielt hat; zu DDR- und NS-Zeiten wurde er sogar teilweise instrumentalisiert. Dass ein Chor eine so lange Geschichte hat, zeigt ja schon, welche Rolle er spielen und welche Strahlkraft er im Kulturbereich haben kann. Mit dem Wissen darum, dass es im Moment um die Kulturpolitik so schlecht steht, ist es eigentlich krass, dass es die Möglichkeit gibt, so ein Jubiläum zu feiern, mit so vielen Eigenveranstaltungen in einer Saison wie gefühlt nie zuvor. Das setzt ein gutes Zeichen und zeigt, dass man in einer langen Geschichte auch schwierige Phasen wie die aktuelle überstehen und daran wachsen kann – so schnell wird so eine große Institution nicht abgekappt! Es ist wichtig für den Rundfunkchor, seine Position zu nutzen und seine Strahlkraft und Präsenz auch für kleinere Kulturinstitutionen und Menschen in der Kulturszene einzusetzen, die diese nicht vorweisen können.
Was wünschst Du dem Chor für die nächsten 100 Jahre?
Ich wünsche dem Chor, dass er seinen Weg in Richtung »Chor der Zukunft« – und da ist er mit Rachel-Sophia Dries als Direktorin ja gut besetzt – vielleicht noch ein bisschen schneller geht als in den letzten 100 Jahren. Jetzt ist die Zeit, Farbe zu bekennen, Zeichen zu setzen, sich nicht wie jemand 100-Jähriges zu verhalten, sondern die 100 Jahre angehäuften Wissens zu nutzen, um damit nach vorne zu gehen und weitere coole Crossover-Projekte umzusetzen und neue Konzertformate zu erschließen! Der Rundfunkchor hat das Potenzial dazu und auch mit »Flying Mozart« gerade erst gezeigt, wie man sich neue Welten erschließen kann – ich wünsche ihm, das bei aller Bewahrung der lange entwickelten Professionalität, tollen Qualität und der Traditionen so weiterzuführen!