Du singst selbst innerhalb eines Vokalensembles. Hast du dadurch ein besonderes Verhältnis zur Arbeit der Sänger*innen?
Über das Singen habe ich vokale Klangformen lieben gelernt und das erfüllt mich sehr. Es gibt für mich nichts Schöneres, als mit menschlichen Stimmen zu arbeiten. Ich bin der Meinung, dass hier die Vielfalt an Ausdrucksmöglichkeiten noch größer ist als bei Instrumenten. Jede Stimme und jeder Chor ist individuell und man kann hier unendlich viele Feinheiten herausarbeiten. Das finde ich einfach großartig, für mich gibt es nichts Spannenderes und Erfüllenderes als das Chordirigieren.
Durch die eigene Praxis habe ich gelernt, sensibel mit technischen Aspekten des Singens umzugehen. Ich versuche, den Sängerinnen und Sängern stets eine gute dirigentische Grundlage anzubieten, auf der es sich gut singen lässt, was sich beispielsweise sofort über die Atmung bemerkbar macht. Musikalische Zielführungen müssen meiner Meinung nach immer vereinbar sein mit einer stimmlichen Umsetzbarkeit. Dieser Aspekt spielt eine wichtige Rolle für meine Probenmethodik und auch für meine musikalischen Interpretationen.
In der transdisziplinären Konzertinstallation »THE WORLD TO COME« kamen zeitgenössische Musikströmungen mit Beethovens Meisterwerk »Missa Solemnis« zusammen. Wie waren dieses Erlebnis und das Dirigieren für dich?
Für mich war es super, bereits in meinem ersten richtigen Projekt eine künstlerische Verantwortung übernehmen zu dürfen. Mit einer kleinen Besetzung von 16 Männern aus dem Rundfunkchor habe ich für THE WORLD TO COME eigenständig Renaissance-Literatur erarbeitet und im Foyer des Vollgutlagers aufgeführt. Diese erste, gelungene Zusammenarbeit habe ich sehr genossen. Eine echte Herausforderung waren die gemeinsamen Passagen mit Chor und Orchester aus dem großen Raum. Ich beobachtete Chefdirigent Gijs Leenars über einen Monitor und synchronisierte sein Dirigat, um den Herren im Foyer, die als Fernchor fungierten, die richtigen Einsätze geben zu können. Diese wiederum konnten die Klänge aus dem großem Raum nahezu gar nicht hören. Das war abenteuerlich, da ich an meiner Position zum Teil auch drei bis vier unterschiedliche Klangkörper parallel wahrgenommen habe, aber es hat zum Glück alles sehr gut funktioniert. Insgesamt hat mich vor allem die Pluralität und Kernbotschaft des gelungenen Projektes überzeugt.
Hast Du ein Ritual vor dem Auftritt und wie bereitest du dich darauf vor?
Ein Ritual habe ich eigentlich weniger. Für mich ist das Umziehen in das Konzertoutfit vielleicht solch ein Prozess, bei dem ich mich auf das Konzert einstimme und mich fokussiere. Das Binden der Krawatte, das Verkleiden sozusagen, und auch das Sortieren und noch einmal Durchblättern der Noten. Beim Dirigieren fühle ich mich absolut in meinem Element. Mit den Händen Klang zu gestalten ist ein Mittel, das für mich sehr gut funktioniert, um mich musikalisch ausdrücken zu können. Daher empfinde ich in den Momenten vor einem Konzert vor allem Vorfreude und seltener Nervosität.
Ist das Dirigieren des Rundfunkchores Berlin ein Traumberuf für Dich?
Absolut! Jeden Morgen bin ich glücklich und dankbar über dieses Privileg, ich weiß es sehr zu schätzen.
Welche Musik hörst Du privat am liebsten?
Privat höre ich tatsächlich eher selten Musik. Wenn ich mich den ganzen Tag intensiv und fokussiert mit Musik beschäftige, sie durchlebe und da auch emotional eingespannt bin, dann brauche ich in den Ruhezeiten Erholung für meine Ohren und auch für die Seele. Lieber lese ich dann ein Buch oder schaue einen Film, um in andere Welten versinken zu können. Nebenbei Musik dudeln zu hören, beispielsweise im Einkaufszentrum, geht mir ehrlich gesagt ziemlich auf die Nerven.
Wir wagen einen Blick ins nächste Jahr: Gibt es ein Projekt, auf das du dich besonders freust?
Ich freue mich besonders auf Projekte in Zusammenarbeit mit den Berliner Philharmonikern wie beispielsweise Strawinskys »Oedipus Rex« mit Kirill Petrenko. Ich bin sehr neugierig, wie der Chor in dieser Zusammenarbeit aufblühen wird. Petrenko ist ein fantastischer Musiker und ein wirklich großes Vorbild für mich, so wie viele andere Dirigenten auch, denen ich im nächsten Jahr begegnen darf.
Die größte Freude für mich ist die Vielfalt der Projekte, die der Rundfunkchor Berlin umsetzt. So werden auch die multimediale Performance »Time Travellers« und das transdisziplinäre »human reqiuem« aufgeführt, bei welchen ich Co-Dirigieren darf.