Interviews
Auf ein Wort mit Adrian Emans

Das traditionelle Mitsingkonzert 2025 steht vor der Tür! In diesem Jahr ist bei dem Spektakel, an dem neben dem Berliner Rundfunkchor noch ca. 1300 weitere Sänger:innen beteiligt sein werden, Johannes Brahms’ berührendes Requiem zu hören. Im Rahmen des 100-jährigen Chorjubiläums des Rundfunkchores sind außerdem erstmals drei Gastchöre eingeladen, die gemeinsam mit dem Rundfunkchor auf der Bühne stehen. Ein Novum mit einer besonderen Herausforderung, denn für keinen der drei Chöre gehört ein Brahms-Requiem zum Standard-Repertoire und überhaupt: Stilistisch bewegen sich die Chöre bei diesem Konzert sogar auf ganz neuem musikalischen Terrain. Der Berliner Chorleiter Adrian Emans, der auch schon im Rahmen der Liederbörse sowie im vergangenen Jahr beim Mitsingkonzert mit Schulklassen und dem Förderverein gearbeitet hat, übernimmt in diesem Jahr die Choreinstudierung der Gastchöre. Welche Herausforderungen es dabei gibt, warum ihn die Arbeit erfüllt und wie man Menschen für klassische Chormusik begeistern kann, erfahrt Ihr hier!
Was sind die Herausforderungen bei der Einstudierung des Brahms-Requiems mit Laiensänger:innen und wie bereitest Du Dich darauf vor?
Ich finde, das Brahms-Requiem ist ein total buntes und abwechslungsreiches Stück: Eine Collage von Trostworten in all ihren verschiedenen Facetten – mit hoffnungsvollen und freudigen bis hin zu sehr intimen und traurigen Abschnitten. Das Emotionsspektrum ist also ziemlich groß und das ist sehr besonders und auch besonders herausfordernd. Die Vielseitigkeit der Emotionen hat Brahms durch verschiedene musikalische Mittel ausgedrückt, die teilweise mitunter für Laien stimmlich wirklich schwer umzusetzen sind. Es gibt sehr schnelle Tempi aber auch ein paar offene, langsame und intime Stellen ohne oder mit sehr wenig Orchesterbegleitung! Für den Sopran und Tenor liegen die Phrasen oft sehr hoch, was technisch schwer ist, vor allem, wenn man stimmschonend arbeiten möchte.
In meiner Vorbereitung versuche ich zunächst immer so viel wie möglich über das Stück und dessen Hintergründe zu erfahren, um den Sänger:innen später in den Proben möglichst ein umfassendes Bild des Werks mit auf den Weg zu geben. Man soll sich ja auch einfühlen können in den Kontext der Komposition! Ein wichtiger Bestandteil der Vorbereitung ist für mich eine umfassende Textanalyse, denn die gehört bei Chormusik einfach dazu. Danach gehe ich jede einzelne Stimme ganz detailliert durch, richte die Atemstellen, Aussprache und die Phrasierung ein, schreibe emotionale Assoziationen über die Texte etc. Für die Probenkonzeption verschaffe ich mir zum Schluss nochmal einen Überblick über die Struktur der einzelnen Sätze und schaue, welche Stellen wirklich schwer sind, bei welchen sich die Sänger:innen klanglich gut „finden“ können (mit denen fange ich in den Proben oft an), wieviel Zeit man für alles braucht, etc. Beim Mitsingkonzert übernehme ich natürlich auch Simon Halseys Vorstellungen von dem Werk in meine Probenarbeit – er dirigiert ja am Ende das Konzert. Es geht den Sänger:innen bei diesem Projekt ja aber nicht primär um Perfektion, sondern um den Spaß an der Sache – es ist auch immer gut, das im Hinterkopf zu behalten.
Im Rahmen des Chorjubiläums sind zum ersten Mal Gastchöre beim Mitsingkonzert dabei – was ist das Besondere daran?
Es ist toll, dass es so etwas gibt und, dass es dabei darum geht, Gruppen in ein Konzert zu integrieren, die mit solch einer Musik normalerweise nichts zu tun haben. Es ist ein Experiment, bei dem das Ziel eben nicht über Leistungsdruck erreicht wird, sondern durch ein inklusives Gemeinschaftsgefühl. Es soll ein emotionales Erlebnis sein, keine musikhistorisch perfekt informierte Aufführungspraxis des Brahms-Requiems. Dennoch: Die Gastchöre stehen gemeinsam mit dem Rundfunkchor Berlin auf der Bühne und es wird ein großes, schweres Werk gesungen; da kann sich im Konzert niemand verstecken. Es gibt wenig Probenzeit, aber wir haben ein paar Stellen gekürzt und vereinfacht, um die Herausforderung gut zu meistern!

Welche sind die Hintergründe der Gastchöre?
Es singt unter anderem das Berliner Ensemble für klassische türkische Musik, einer der größten türkischen Chöre deutschlandweit. Die Sängerinnen und Sänger sind es zum Beispiel nicht gewohnt, mehrstimmig zu singen. Daher werden sie auch beim Brahms-Requiem einstimmig singen: alle singen die Altstimme. Der zweite Chor ist der Begegnungschor, ein Ensemble, das Menschen aus verschiedenen Kulturen und Hintergründen zusammenführt, die gemeinsam Stücke aus unterschiedlichen Ländern und Sprachen einstudieren. Jede:r darf dort mitmachen, es geht darum, die Leidenschaft für die Musik zu teilen. Der dritte Chor heißt zimmmt, ein echt guter Berliner Jazz-Pop-Chor, den ich schon lange kenne und den man auch auf renommierten Chorwettbewerben trifft. Zimmmt arbeitet aber zum Beispiel ohne Dirigat und auch bei denen gehört Brahms nicht zum Standard-Repertoire ☺
Wie lief denn die erste Probe?
Ich glaube, in der Probe waren alle sehr gut gelaunt und konzentriert, aber natürlich müssen sich alle erstmal musikalisch zusammenfinden. Das ist eine Menge Arbeit, aber auch sehr erfüllend. Eine junggebliebene Chorsängerin aus dem Begegnungschor kam nach der ersten Probe zu mir und meinte, dass sie nie in ihrem Leben gedacht hätte, überhaupt mal klassische Chormusik zu singen. Das sei eigentlich gar nicht ihr Ding. Durch diese Probenarbeit hätte sie plötzlich einen emotionalen Zugang dazu bekommen und gemerkt, was klassische Musik auch ihr geben kann, sie würde nun regelmäßig mit einem Brahms-Ohrwurm in der U-Bahn sitzen. Auch vom türkischen Ensemble waren einige total begeistert von der ersten Probe und meinten, dass sich durch die Arbeit an dieser Musik etwas in ihnen bewegt hat, das ihnen ewig in Erinnerung bleiben würde.
Worauf kann man sich als Publikum beim Mitsingkonzert freuen?
Auf eine Masse an Menschen, die alle Lust auf das Gleiche haben! Auf eine sehr intensive Energie in einem besonderen Raum, mit einem sehr coolen Stück – das erlebt man nicht jeden Tag! Dass hier ein Profichor auf Amateurchöre trifft ist für alle was ganz Besonderes. So etwas sollte es, meiner Meinung nach, viel mehr geben, da alle davon profitieren: die Profis und die Laien. Also: gute Musik, spannende Einblicke, viele Menschen und coole Energie!

Hast Du Tipps für Menschen, die unsicher sind, ob sie mal bei so einem Konzert mitsingen sollten?
Ich würde raten, sich einfach anzumelden und es mal auszuprobieren, es wird sich lohnen! Man kann sich dabei vielleicht von jemandem coachen lassen, der/die schon mal dabei war, dann fällt der Sprung ins kalte Wasser noch etwas leichter. Wenn man das Stück gar nicht kennt, gibt es mittlerweile viele Hilfen auf allen möglichen Plattformen im Internet, sei es, um Werkhintergründe und Texte zu finden oder, um tatsächlich eine einzelne Stimme zu üben. Zur Not kann man natürlich auch zum Mitsingkonzert gehen und einfach zuhören ☺
Das Mitsingkonzert findet am Sonntag, 6. Juli 2025 um 15:30 Uhr im Großen Saal der Berliner Philharmonie statt!
Adrian Emans ist Chorleiter und Dirigent. Er ist Gründer und musikalischer Leiter des Neuen Kammerchores Berlin, des Charité Chores Berlin und des Neuen Männerchores Berlin. Mit seinen Chören gewann er bereits mehrere nationale und internationale Wettbewerbe und erhielt Sonderpreise als bester Dirigent. Neben seiner künstlerischen Arbeit engagiert sich Adrian Emans als Vorsitzender des Musikausschusses im Chorverband Berlin.