Interviews
Auf ein Wort mit Catherine Hense
Catherine Hense ist seit 1988 Sopranistin im Rundfunkchor Berlin. 1998 reiste sie schon einmal mit dem Chor nach Adelaide. Heute, 20 Jahre später, freut sie sich auf eine Wiederbegegnung mit der Stadt und vier weitere Aufführungen mit dem »human requiem«, der szenischen Umsetzung des Brahms-Requiems durch Jochen Sandig und ein Team von Sasha Waltz & Guests.
Der Rundfunkchor Berlin reist mit dem »human requiem« nach Adelaide. Du warst schon einmal dort?
Ja, wir waren 1998 schon einmal dort. Im Gepäck hatten wir ein Riesenprogramm: Schönbergs »Gurrelieder«, Rachmaninows »Vesper-Messe«, Beethovens »Missa Solemnis« und ein A-cappella-Programm. Damals war ich von der beschaulichen Stadt sehr beeindruckt. Sie ist wunderschön, bietet viel Kultur, Architektur im Kolonialstil, tolle grüne Parklandschaften und das Meer. Und das Licht ist ganz anders als hier in Europa. Die Schwierigkeit für uns wird der große Zeitunterschied von zwölf Stunden sein. Da müssen wir schauen, wie schnell wir in den Alltag reinkommen.
Ihr habt das »human requiem« an vielen Orten und Spielstätten aufgeführt. Was sind die jeweiligen Herausforderungen?
Die unterschiedlichen Räumlichkeiten vor Ort. Man muss sich körperlich und gesanglich auf den jeweiligen Raum einstellen. Brauche ich mehr Kraft in einer trockenen Akustik oder lässt es sich durch den natürlichen Hall im Saal leichter singen? Das ist die Frage. In Paris waren wir zum Beispiel in einer großen ehemaligen Werkhalle, einem Stahlgerüstbau im Jugendstil. Sie war wunderschön, aber riesig groß. Die Herausforderung bestand darin, den Raum szenisch und sängerisch zu füllen, bei weit weniger Publikum, als wir es sonst gewohnt sind.
In Hamburg waren wir auf der Baustelle der Elbphilharmonie. Damit der Charakter der Inszenierung entsprochen werden konnte, wurde extra Rollrasen ausgelegt. Die gefühlt zwei Meter großen Menschen in Steppjacken standen dicht gedrängt, so dass man die eigenen Kollegen nur noch erahnen konnte: Als ich eine Soprankollegin gefunden hatte, nahm ich ihre Hand und ließ sie nicht wieder los.
Es gibt Theater, die durch die Polsterbestuhlung und die Vorhänge eine sehr trockene Akustik haben. Das war in Rotterdam der Fall. Und es gibt Räume, die akustisch und von der Größe her ideal sind für diese Aufführung, wie das Radialsystem V am Ostbahnhof. Auch die Kirchenraumakustik in New York war sehr gut.
Deshalb sind die Proben vor den Aufführungen ganz wichtig. Die Generalproben machen wir oft mit Publikum, weil für uns die Zuhörer als Ansprechpartner und die Größenverhältnisse im Saal wichtig sind.
Kann man das überhaupt ohne Publikum proben?
Wir hatten inzwischen so viele Aufführungen, dass wir die Reaktionen des Publikums gut einschätzen können. Es gibt Menschen, die reagieren unnahbar, andere sind tief berührt, weinen, lächeln, schließen die Augen. In New York hatte Kurt Masur direkt nach 9/11 das Brahms-Requiem aufgeführt. In unserer szenischen Aufführung ist vielen im Publikum innerlich noch einmal aufgebrochen, was damals passiert ist. Viele waren hinterher ganz beseelt von der Atmosphäre und blieben bis zu eine Stunde lang nach dem Konzert im Saal sitzen oder sprachen mit uns darüber.
Ein besonderes Erlebnis hatten wir in Athen, als eine Gruppe von Flüchtlingen zur Generalprobe eingeladen war. Sie wussten nicht, was sie da erwartet. Wir haben sie mit unserem Gesang und dem Agieren eingefangen. Viele Frauen mit Säuglingen waren da und Kinder, die sind während der Aufführung neben uns an der Hand mitgelaufen.
Im 4. Satz (»Wie lieblich sind deine Wohnungen«) habe ich meinem Kollegen Holger Marks zugeflüstert: »Ich hole jetzt ein Kind, das unbedingt mitschaukeln möchte. Nimmst Du es bitte mit auf die Schaukel?« Das war für mich ein ganz besonderer Moment, … die leuchtenden Augen des Kindes …
Galerie
Catherine Hense in Aktion
© Lovis Ostenrik
© Kai Bienert
© Peter Adamik
© Peter Adamik
© Lovis Ostenrik
© Matthias Heyde
Bekommst Du die einzelnen Reaktionen der Besucher mit oder bist du ganz konzentriert auf das Singen?
Ich suche gern Gesichter und gehe auf Menschen zu. Man muss sich allerdings immer genau überlegen und abschätzen können, ob man den Besucher nur anschaut oder berühren kann, wie lange man vor einer Person verharren kann oder ob man einfach vorsichtig an ihm vorübergeht. Sie reagieren ja wie schon gesagt sehr unterschiedlich.
In den ersten Vorstellungen, als mir weinende Menschen entgegenkamen, blieb mir fast der Ton im Halse stecken. Er war wie zugeschnürt. Das konnten wir natürlich vorher nicht proben. Heute ist es ein schönes Gefühl, diejenigen zu beruhigen, sie zu trösten oder ihnen Hoffnung zu geben.
Ist solch eine Aufführung erfüllender als nur auf dem Konzertpodium zu stehen?
Nein, es ist nur eine ganz andere Konzentration. Auf dem Podium habe ich meine Stimmgruppe um mich herum und kann mich voll auf die Musik und den Dirigenten konzentrieren. In der szenischen Arbeit ist es die »Szene«, die chorische, aber besonders die chor-»solistische« Arbeit, die gleichzeitig erfüllt werden muss. Da liegt die Konzentration mehr auf mir selbst.
Bereitest du dich auf das »human requiem« anders vor als auf traditionelle Konzerte?
Man hört den Chor in den Aufführungen immer um sich herum im ganzen Raum. Aber dadurch, dass jeder für sich allein durch das Publikum läuft, ist man aus seiner Stimmgruppe herausgelöst. Man singt quasi solistisch. Ich muss mir die Kraft, durch das Stück zu kommen, anders einteilen, als wenn ich kompakt in meiner Stimmgruppe stehe. Das Brahms-Requiem solistisch zu singen, ist vergleichbar mit einem Liederabend.
Ist das Singen im Rundfunkchor Berlin für dich ein Traumberuf?
Ja, absolut. Besonders, weil sich seit der Wende unsere Arbeit so vielseitig gestaltet. Vor der Wende sangen wir hauptsächlich Konzerte und machten viele Aufnahmen. Inzwischen machen wir viele szenische Projekte, Konzerte mit tollen Orchestern im In- und Ausland, Opern, Kinderkonzerte, Mitsingkonzerte … und jedes Projekt ist auf seine Weise interessant.
Welche Musik hörst du privat?
Morgens lasse ich mich vom Radio wecken. Da höre ich die unterschiedlichsten Sender. Ansonsten höre ich gerne im Nachklang unsere Konzerte in der Digital Concert Hall oder Konzertaufzeichnungen im Radio. Es ist gut, einfach mal von außen zu hören, wie der Chor klingt. Insgesamt höre ich aber eher wenig Musik privat.
Und was sollte man in dieser Saison nicht verpassen?
Diese Woche das Duruflé-Requiem mit dem Deutschen Symphonie-Orchester und nach unserer Australien-Reise den »Parsifal« mit Simon Rattle – Wagner liebe ich sehr. Und zum Ende der Saison die drei Konzerte der Liederbörse – die liebe ich, weil ich selbst sehr gern mit Kindern arbeite. Ich bin ja auch Patin in unserem SING!-Programm. Das kann ich jedem empfehlen, der mit Kindern ein Konzert besuchen will. Die Kinder sind beseelt, wenn sie mit uns singen und stolz, ihre eigenen Lieder präsentieren zu können. Das macht einfach Freude!