Interviews

Auf ein Wort mit Maike Bühle

Maike Bühle

Am 18. und 23.04. findet in der Philharmonie Berlin die Liederbörse statt. Als langjährige Chordirigentin und Professorin für Chordirigieren an der Universität der Künste Berlin hat Maike Bühle bereits intensive Kooperationen innerhalb und außerhalb der Universität initiiert. Sie wird die beiden Konzerte dirigieren und erzählt uns vorab von ihren Erfahrungen.

Was hat Sie dazu inspiriert, sich für die Rolle der Chordirigentin bei der Liederbörse des Rundfunkchores Berlin zu engagieren?

Zunächst einmal: Kooperationen erlebe ich immer als unglaublich bereichernd, wenn alle Beteiligten neugierig sind auf die anderen, bereit sind, die eigene „Komfortzone“ zu verlassen, und Lust haben, die eigene Arbeit auch mal ein bisschen aus einer anderen Perspektive zu sehen. Als die Anfrage kam, ob ich Interesse hätte, die Liederbörse 2024 zu leiten, habe ich mich sehr gefreut, denn ich finde dieses Format des Rundfunkchores einfach großartig. Daher musste ich nicht lange überlegen, sondern habe sofort zugesagt. In den vorbereitenden Gesprächen wurde schnell klar, dass uns allen diese Möglichkeit der musikalischen Begegnung von Berliner Schülerinnen und Schülern mit dem Rundfunkchor Berlin sehr am Herzen liegt. Es ist eine wunderbare Chance für die jungen Menschen, die Arbeit der professionellen Sängerinnen und Sänger kennenzulernen, indem sie kopfüber in ein musikalisches Projekt eintauchen, zusammen proben und ein Konzert vorbereiten, gemeinsam singen und den emotionalen Gehalt der Werke ausloten. Das ist etwas ganz anderes, als „nur“ eine Infoveranstaltung oder ein Konzert zu besuchen! Das aktive Tun, verbunden mit beherztem Erleben, Erfahrungen, die mit anderen Menschen geteilt werden – ich denke, das ist es, was einen wirklichen Fußabdruck in der Biografie eines jungen Menschen hinterlassen kann.

Können Sie uns etwas über Ihren musikalischen Hintergrund und Ihre Erfahrungen im Chordirigieren erzählen, insbesondere im Kontext von Projekten wie der Liederbörse?

Dem Thema „Chor“ habe ich mich erst sehr spät genähert, meine persönliche musikalische Sozialisierung fand in instrumentaler Kammermusik und in Jugendorchestern statt. Als ich so alt war wie die Berliner Schülerinnen und Schüler, mit denen wir jetzt bei der Liederbörse zusammenarbeiten, wusste ich definitiv noch nichts von der Existenz professioneller Chöre oder dem Berufsbild „Chorsänger:in“. Wenn ich jetzt nochmal jung wäre, würde ich mit meiner heutigen Erfahrung unbedingt diesen Beruf ergreifen wollen, ich finde es so attraktiv, das gemeinsame Singen auf höchstem künstlerischem Niveau zum Lebensinhalt machen zu können! Ich bin damals mit meiner Geige an die Musikhochschule gekommen, und habe dort dann das erste Mal im Chor gesungen – eine entscheidende Erfahrung für mich: Die Welt der Chormusik hält mich bis heute in ihrem Bann! Es ist grandios, dass die vielen Schülerinnen und Schüler, die bei der Liederbörse beteiligt sind – allein in diesem Jahr sind es mehr als 1300! – diese Erfahrungen machen dürfen und in die Welt des professionellen Chorsingens hineinschnuppern können!

Wie gestalten Sie das Programm der Liederbörsenkonzerte? Können Sie uns einen Einblick in das Repertoire geben, das bei den Konzerten der Liederbörse aufgeführt wird?

Musik zum Thema „Die vier Elemente“ eignet sich meiner Meinung nach hervorragend für die Liederbörse. Feuer, Wasser, Erde, Luft sind Urkräfte der Natur, und ihre bewusste Wahrnehmung sensibilisiert uns für eine aktive Achtsamkeit für unsere bedrohte Umwelt – ein Thema, das nicht nur die junge Generation aktuell sehr bewegt. Darüber hinaus verbinden diese Urkräfte uns Menschen aber auch durch ihre elementaren Spiegelungen in unseren Emotionen: Wir alle kennen es, wie es sich anfühlt, „durch den Wind“ zu sein oder „Feuer gefangen“ zu haben! Und auch in der Musik spielen diese Kräfte eine tragende Rolle: Wir kennen fließende Melodien, einen in der Erde verwurzelten Stand als Voraussetzung für einen durchlässigen Körper, einen freien Atem, eine flexible Stimmgebung, aber auch luftige Klänge und feurige Rhythmen. Sie sehen, wie viele Bilder aus dem Bereich der Elemente wir im Singen verwenden! Eine natürliche Verbundenheit zu elementaren Kräften, intuitives Wissen über komplexe Strukturen – das macht es einfach, in der Musik miteinander und darüber in Kommunikation zu gelangen! Ich habe Stücke ausgewählt, die diese Spiegelungen der Elemente in sich tragen und gleichzeitig eine große Bandbreite an Stilistik zeigen. Nebenbei war es mir wichtig, selbstverständlich auch Werke von Komponistinnen im Programm zu haben, für mich persönlich ein wichtiger Aspekt der Repertoirewahl, wenn wir möchten, dass sich am Kanon der Konzertprogramme etwas ändert. Von Lili Boulangers „Hymne au soleil“, über den nachdenklichen „Earthsong“ von Frank Ticheli, das beschwingte hebräische Regenlied „Tzadik Katamar“, das kanadische Volkslied „J’entends le moulin“, Josef Rheinbergers stürmischen „Nordwind“, das gewitternde „Kalējs kala debesīs” der lettischen Komponistin Selga Mence bis zum lebensfrohen Gospel „Shine the light“ ist alles mit dabei.

Welche Herausforderungen und Chancen sehen Sie in der Zusammenarbeit von Schüler:innen unterschiedlicher Altersstufen und musikalischer Erfahrung?

Natürlich ist es eine große Herausforderung, so viele Menschen mit so unterschiedlichem Profil in so kurzer Zeit zu einem Projekt zusammenzubringen. Aber ich glaube, es ist für alle eine riesige Bereicherung! Die erfahrenen Sängerinnen und Sänger nehmen Impulse von den an sie gestellten Fragen auf, hinterfragen vielleicht Routinen, können ihr Wissen weitergeben, singen neues, vielleicht auch ungewohntes Repertoire. Junge Menschen tauchen in eine professionelle künstlerische Realität ein, empfinden das Gänsehaut-Gefühl, das entsteht, wenn Stimmen sich verbinden zu einem großen klingenden Ganzen. Und alle zusammen erleben die Bandbreite der verschiedenen Kompositionen, das sind ja ganze Universen aus Klang, Struktur, Text, Emotion!

Welche Bedeutung hat die Aufführung in der Philharmonie Berlin für die Schüler:innen und wie bereiten Sie sie darauf vor?

Die Philharmonie Berlin ist ein einzigartiger Konzertort mit einer ganz besonders feinen Akustik, aber auch einer Raumwirkung, die Menschen einlädt, sich aufeinander einzulassen. Ich glaube, jeder weiß, was für ein Privileg es ist, dort auftreten zu dürfen! Umso wichtiger wird es sein, nicht in Ehrfurcht zu erstarren, sondern lebendig ins gemeinsame Musizieren zu kommen, auch über weite Distanzen hinweg. Ich werde nur eine einzige Probe haben, in der alles zusammenkommt, viele werden mich dort das erste Mal sehen. Ich versuche das vorzubereiten, indem ich mit möglichst vielen vorher in Kontakt gehe. Und natürlich darauf vertraue, dass alle die Stücke gut vorbereitet haben werden – da helfe ich auch, wo ich kann. Am Ende wird uns, hoffe ich, der Zauber dieses großartigen Moments, die Kraft der Musik, und die Begeisterung für das gemeinsame Singen beflügeln!

Wie unterstützt der Rundfunkchor Berlin die Liederbörse und wie gestaltet sich die Zusammenarbeit zwischen Ihnen und dem Chor?

Die Liederbörse ist ja ein Projekt des Berliner Rundfunkchores, sie ermöglicht es Berliner Grund- und Oberschüler:innen, gemeinsam mit ihm in einem Konzert in der Philharmonie zu singen. In Vorbereitung auf das Konzert besuchen einzelne Rundfunkchorsänger:innen die verschiedenen Grundschulen, beantworten dort Fragen der Kinder, singen etwas vor, lassen sich etwas vorsingen, kommen in einen persönlichen Austausch. Die Chöre der Oberschulen hingegen kommen zu Besuch in die Masurenallee, lernen dort den Chor kennen, proben gemeinsam, erfahren hautnah, was es heißt, diesen tollen Beruf des Chorsängers zu ergreifen! Ich erlebe den Rundfunkchor dabei als außergewöhnlich aufgeschlossenen und motivierenden Partner, um die jungen Menschen für die Chormusik zu begeistern. Das ist wirklich berührend.

Welche persönliche Erfüllung ziehen Sie aus Ihrer Rolle als Chordirigentin bei der Liederbörse des Rundfunkchores Berlin?

Mir ist es eine Herzensangelegenheit, junge Menschen für das gemeinsame Singen zu begeistern und mit ihnen einzutauchen in die fantastische Welt der Chormusik in ihrer immensen Facettenvielfalt. Insofern ist meine Rolle als Dirigentin der Liederbörse Erfüllung pur! Ich freue mich sehr darauf, im Konzert gemeinsam mit den Schüler:innen und dem Rundfunkchor Berlin künstlerisch der Frage nachzugehen, wie die Urkräfte unserer bedrohten und schützenswerten Natur sich in Klang und Emotion übersetzen lassen. Damit sensibilisieren wir nicht nur unser Publikum, sondern auch uns selbst für die Schätze der Natur. Darüber hinaus bereichern wir dadurch aber auch unser individuelles Spektrum an Ausdruckskraft und -tiefe sowie das Erleben unserer Gemeinsamkeiten! Ich danke schon jetzt allen, die mich auf diesem Abenteuer begleiten und unterstützen, vor allem dem wunderbaren Liederbörsen- und Sing!-Team, den engagierten Lehrerinnen und Lehrern, den beteiligten Musiker:innen und nicht zuletzt den motivierten Sängerinnen und Sängern des Rundfunkchores!

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