Interviews

Auf ein Wort mit Cornelia Vossen

Vom 08. September bis zum 09. Oktober 2023 finden die „Tage des Exils“ erstmals in Berlin und in Kooperation mit der Stiftung Exilmuseum Berlin statt. Über vierzig Berliner Organisationen und Kultureinrichtungen sind beteiligt, um das Thema Exil vier Wochen lang in der ganzen Stadt mit Ausstellungen, Lesungen, Konzerten, Performances, Filmen und vielen weiteren Veranstaltungsformaten sichtbar zu machen. Auch der Rundfunkchor Berlin ist mit der RundfunkchorLounge »Im Exil« am 13.09. dabei!

Liebe Frau Vossen, Sie sind die Kuratorin des sich in Gründung befindlichen Exilmuseums Berlin. Warum bedarf es gerade hier in Berlin eines Museums, das sich dem Thema des Exils widmet? 

Berlin gilt heute als ein Zentrum des Exils, viele Menschen suchen hier Zuflucht, die ihre Heimat verlassen müssen. In den 1930er Jahren wurden zudem die nationalsozialistischen Verbrechen maßgeblich von Berlin aus organisiert und durchgeführt. Berlin hatte die größte jüdische Bevölkerung, so dass ein Großteil der Menschen, die Deutschland auf der Flucht vor den Nationalsozialisten verließen, ihre Reise ins Ungewisse von Berlin aus antraten. Der Anhalter Bahnhof als damals größter Fernbahnhof Berlins war in unzähligen Fällen der Ort des Abschieds – hier ist der richtige Standort für das geplante Exilmuseum, hier möchten wir den Exilierten wieder einen Ort zurückgeben. Und gerade weil die Einwohnerschaft Berlins heute stark migrantisch geprägt ist, eignet sich die Stadt so besonders für das neue Museum. In ihm wollen wir die Brücke zwischen dem Exil damals und heute schlagen und allen anderen Akteur*innen aus dem Themenfeld Exil eine Plattform bieten.

Welche besonderen Orte oder Gedenkstätten in Berlin erinnern an die Geschichte des Exils in der Stadt, und wie können Besucher:innen diese im Rahmen der „Tage des Exils“ erkunden?

Das Schöne an diesem von der Hamburger Körber-Stiftung initiierten Format ist, dass unter dem Dach der „Tage des Exils“ unterschiedlichste Akteur*innen aus der ganzen Stadt eingeladen sind, eigene Veranstaltungen beizutragen – kaum eine Stadt ist so reich an großen und kleinen Kulturinstitutionen und -projekten wie Berlin. Diese Vielfalt abzubilden und Menschen an unterschiedlichste Orte in der Stadt zu bringen, passt sehr gut zum eben beschriebenen Plattform-Gedanken, den wir für das Exilmuseum haben, und mit dem wir auch künftig in die Stadt ausgreifen wollen, um Exilspuren sichtbar zu machen. Es lohnt sich, die große Vielfalt des Programms unter www.tagedesexils.de zu erkunden.

Wie sollen die facettenreichen Erfahrungen, die das Thema Exil birgt, im geplanten Museum für die Besucher:innen erfahrbar/erlebbar gemacht werden?  

Der Fokus des Museums liegt auf Biografien. Wir werden also viele Einzelschicksale vorstellen und vorrangig mit Bild-, Audio- und Videomaterial – also medial – arbeiten, um eine größtmögliche Nahsicht auf die Personen herzustellen. Im Zentrum steht eine Medieninstallation, in dem Lebenswege unabhängig von den Themenräumen vorgestellt und durch eine Vielzahl von ästhetischen und stilistischen Zugängen erlebbar gemacht werden. Darüber hinaus haben wir ein Ausstellungselement geplant, das wir den „Pfad des Exils“ nennen. Darin spüren wir Leitmotiven aus der Erfahrung des Exils nach, wie z.B. „Abschied“, „Warten“ oder „Sprache“. Jedem Leitmotiv ist ein szenografisch passend gestaltetes Kabinett gewidmet, in dem wir Zitate aus der historischen und zeitgenössischen Exilliteratur nebeneinanderstellen. Das Verrückte ist: Oft kann man nicht sagen, welches Zitat aus welcher Zeit stammt – so sehr ähneln die darin beschriebenen Erfahrungen einander.

Können Sie uns einige Beispiele für bekannte Persönlichkeiten nennen, die ins Exil vertrieben wurden, aber Berlin dennoch entscheidend geprägt haben, und gibt es dafür auch Beispiele aus jüngster Vergangenheit?

Nehmen Sie z.B. Ernst Reuter, der nach dem Krieg aus dem türkischen Exil zurückkehrte, um als Bürgermeister die Stadt wieder mit aufzubauen – oder Willy Brandt, der sich im und nach dem Exil politisch engagierte, 1969 Bundeskanzler wurde und sich noch Anfang 1960er Jahre von Franz Josef Strauß öffentlich sagen lassen musste: „Was haben Sie zwölf Jahre lang draußen [im Exil] gemacht? Wir wissen, was wir gemacht haben.“ Heutige Exilanten wie Can Dündar beschreiben sehr deutlich, wie wichtig es für uns als Einwanderungsland ist, die Brücke zwischen ‚uns‘ und ‚den anderen‘ zu bauen, von geflüchteten Menschen zu lernen und anzuerkennen, was für eine große Bereicherung sie für unsere Stadt und Kultur darstellen.

Welche Botschaft oder welches Verständnis hoffen Sie, dass die Besucher:innen der Tage des Exils bezüglich des Themas Exil mitnehmen? Wie und womit schlagen Sie während dieser Zeit eine Brücke in die Gegenwart? 

Veranstaltungsformate zum Exil während der Zeit des Nationalsozialismus stehen bei den „Tagen des Exils“ ganz selbstverständlich neben solchen zum Exil in der Gegenwart. Mit dem Exilmuseum verfolgen wir einen ähnlichen Ansatz: Indem wir – bei aller Unterschiedlichkeit der historischen Situationen – doch aufzeigen möchten, dass es so etwas gibt wie eine anthropologische Konstante in der Erfahrung des Exils. Momente wie Abschiede, von denen man nicht wusste, ob sie für immer waren oder das Warten auf den lebensrettenden Pass oder Stempel verbinden damalige und heutige Geflüchtete. So kann man aus den Geschichten von damals unheimlich viel lernen für die heutige Zeit, zuallererst: Empathie, die die Grundvoraussetzung dafür ist, dass das Ankommen in der Fremde gelingen kann. Dieses Ankommen ist ohnehin schwer genug, denn niemand verlässt seine Heimat freiwillig. Es ist an uns, da etwas zurückzugeben – so wie auch die zwischen 1933-45 aus den deutschsprachigen Ländern ins Exil Getriebenen zwar keineswegs immer, aber doch vielfach Aufnahme und Zuflucht im Ausland erfuhren.

Die erste RundfunkchorLounge der neuen Saison widmet sich im Rahmen der Tage des Exils ebenso dem Thema Exil und präsentiert unter anderem Werke von Komponist:innen, die vor nationalsozialistischer Verfolgung ins Exil flohen. Musik hat oft eine wichtige Rolle im Leben von Exilant:innen gespielt, sei es als Ausdruck ihrer Identität oder als Mittel zur Verarbeitung ihrer Erfahrungen. Wie würden Sie die Verbindung zwischen Musik und Exil beschreiben?

Ich muss sagen, dass ich schon sehr gespannt bin auf den Abend in der RundfunkchorLounge am 13. September, zu dem ich als Gesprächsgast eingeladen bin. Denn diese Frage stellen wir uns beim Exilmuseum natürlich auch. Ich denke, das Spezielle an Musik ist, dass sie in besonderem Maße dazu geeignet ist, die Exilerfahrung zu präsentieren, weil sie so zeitlos ist und auch ohne Sprache ihren Ausdruck findet. In der Kombination mit Texten steckt in der Musik die Chance, die teilweise bitteren Wahrheiten direkt in die Herzen der Zuhörenden „hineinzuspielen“. Insofern freue ich mich schon sehr auf den Abend unter der Leitung von Gijs Leenaars.

Das Exilmuseum soll unter der Schirmherrschaft von Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller und Bundespräsident a.D. Joachim Gauck bis 2028 als Neubau nach Entwürfen der dänischen Architektin Dorte Mandrup am Anhalter Bahnhof entstehen. Das bürgerinitativ gestartete Projekt wirbt weiter um finanzielle Unterstützung. Mehr dazu und zum Projekt unter www.stiftung-exilmuseum.berlin

Teilen: