Interviews

Auf ein Wort mit Edith Pichler

Edith Pichler, Centre for Citizenship, Social Pluralism and Religious Diversity Universitá di Potsdam, studierte politische Wissenschaften am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin, wo sie promoviert wurde. 2014 habilitierte sie sich (National Scientific Habilitation) als Associate Professor durch das Italienische Ministerium für Wissenschaft und Forschung. Forschungsschwerpunkte italienische Migration in Europa, Erinnerungskulturen und Deutsch-Italienische Beziehungen.

Liebe Edith Pichler,

Vielen Dank das Sie sich Zeit nehmen und uns ein paar Fragen zu beantworten. Die letzte RundfunkchorLounge in dieser Spielzeit hat den Titel: »Bella Italia – La dolce vita?«. Kommende Woche fangen die Sommerferien in Berlin an. Italien ist für viele über das Jahr ein Sehnsuchtsort und im Sommer ein Urlaubsort. Ihre Forschungsschwerpunkte sind: italienische Migration in Europa, Erinnerungskulturen und Deutsch-Italienische Beziehungen.

Was hat Sie dazu bewogen, sich auf das Thema der italienischen Migration in Europa zu spezialisieren?

Während des Studiums am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität in Berlin, habe ich mehrere Seminare, die sich mit dem Thema beschäftigt haben, besucht. Zudem hatten wir auch Professoren, die aus dem Ausland kamen, wodurch wir irgendwie „international“ geprägt wurden. Hinzu kam, dass ich mich bei einem Sprachkurs an der Uni mit anderen ausländischen Studierenden angefreundet habe. Auch nach dem Kurs bildeten wir eine feste Gruppe und trafen uns, um abwechselnd unsere Essenspezialitäten zu kochen. Obwohl es damals nicht so leicht war, die jeweils richtigen Zutaten für die Gerichte zu bekommen: Carciofi alla Romana … unmöglich zu kochen!!!
Außerdem gab es damals in Berlin-Schöneberg einen italienischen Kulturverein, welcher von „linken“ italienischen Arbeitsmigranten betrieben wurde. Als Studenten haben wir dort die Veranstaltungen besucht, und sind so in Kontakt mit dem Kosmos der Migration gekommen. Das alles hat dazu beigetragen, dass ich anfing, mich mit der Thematik auch wissenschaftlich auseinanderzusetzen.

Wie wird die Erinnerungskultur in der deutsch-italienischen Beziehung heute gelebt?

In den 70er und 80er Jahren gab es einen regen kulturellen Austausch zwischen beiden Ländern. Professoren in Berlin, wie zum Beispiel Johannes Agnoli, Eckkhart Krippendorf oder Peter Kammerer und Angelo Bolaffi, Gian Enrico Rusconi in Italien haben diese Beziehung mit ihren Beiträgen bereichert. Die von Enrico Berlinguer geprägte neue politische Orientierung des Eurocomunismo faszinierte auch viele deutsche Linke, die dann die verschiedenen Pressefeste der l´Unitá (L`Unitá war die Zeitung der PCI) in den „roten Regionen“ Emilia-Romagna oder der Toskana besuchten, noch bevor man von der „Toskana Fraktion“ sprach, die eher weniger politisch als vielmehr „ästhetisch“ konnotiert war.
Allerdings wurde überlegt, ob nach dem Fall der Mauer eine schleichende Entfremdung in dieser Beziehung stattgefunden hat. Vielleicht ist diese Gegenseitigkeit und Beziehung aber auch „reifer“ geworden. Man lässt sich vielleicht nicht mehr so sehr von „jugendlichem Enthusiasmus“ leiten, was manche Stereotypen gefördert hat, sondern man ist eher pragmatisch und nüchtern in der Beziehung zueinander geworden (?). Dazu tragen sicher auch die kulturelle Arbeit der italienischen Kulturinstitute in Deutschland und der Goethe-Institute in Italien bei, und hier in Berlin auch das Italienzentrum der FU, und in Italien das Zentrum Villa Vigoni am Comer See als Orte des Austausches.

Welche historischen Ereignisse oder Schlüsselphasen sind es, die die deutsch-italienischen Beziehungen im Zusammenhang mit Migration besonders geprägt haben?

Ganz offiziell wurde die deutsch-italienische Beziehung durch die Anwerbevereinbarung geprägt und die Präsenz in Italien von der sogenannten „Deutschen Kommission“, die für die Rekrutierung der Arbeitsmigranten zuständig war und die Auswanderung nach einem „Gesundheitscheck“ organisierte.
Für die italienischen Emigranten war die Ankunft in Deutschland häufig über München sehr prägend. Von dort mussten sie dann entsprechend ihrem Arbeitsvertrag in die anderen Bundesländer weiterreisen. Der „Binario Nr. 11“, das Ankunftsgleis der Züge aus Italien am Münchener Hauptbahnhof ist für unsere gemeinsame Erinnerung der Migration bedeutend: Menschen kamen an, nicht Reisende oder Urlauber, sondern Arbeiter aus dem Süden. Die Einheimischen sahen die Menschen ankommen oder sie nahmen denselben Zug, um in die Gegenrichtung nach Rimini oder an den Gardasee zu fahren.

Welche Chancen sehen Sie in den aktuellen deutsch-italienischen Beziehungen im Hinblick auf Migration?

Vor nicht langer Zeit sprach man noch von einer neuen europäischen Mobilität: die Generation Erasmus, ein europäischer Habitus bewegte diese jungen Menschen. Allerdings ist nach der Finanzkrise Europa wieder mit einer Migration aus der Not konfrontiert, und Deutschland ist wieder Ziel der neuen „Arbeitsmigranten“ aus Südeuropa, so auch aus Italien. Deutschland profitiert also von in Italien, in Griechenland oder in Spanien ausgebildeten Fachkräften, die aber leider nicht immer entsprechend ihrer Qualifikation eingesetzt werden.

Dieser Umstand bedeutet dann nicht nur einen Brain-Drain für Italien, sondern auch für die Personen selbst..

Was würden Sie sagen, welche Rolle spielt Musik in Bezug auf die Erinnerungskultur und die deutsch-italienische Beziehung?

Abgesehen von den deutschen Klassikern, Verdi hat zum Beispiel einige Werke von Schiller in seinen Opern verwendet, denke ich an Busoni, der hier in Berlin-Friedenau begraben worden ist, aber auch an Luigi Nono mit seinen politischen Werken. Gerade letztes Jahr wurde in der Komischen Oper seine Oper „Intolleranza 1960“ inszeniert, die das Thema Migration und Flucht thematisiert. Und natürlich wichtig ist Hans Werner Henze, der in Italien gelebt hat, dort Mitglied der kommunistischen Partei wurde und in
Montepulciano ein Festival für neue Musik gründete. Es gibt aber auch die politischen Lieder der Vergangenheit wie zum Beispiel Bella Ciao oder Bandiera Rossa, die fast jeder „deutsche Linke“ und viele ex DDR-Bürger kennen. Aber es gibt auch trivialere Lieder und bezüglich der italienischen Migration nach Deutschland, denke ich an das Lied von Conny Froboess „Zwei kleine Italiener“ von 1962, aber auch an Adriano Celentano, Paolo Conte, Gianna Nannini…

Vielen Dank für Ihre Zeit und das spannende und bereichernde Gespräch – wir freuen uns schon auf die RundfunkchorLounge am 12.07. im Heimathafen Neukölln.

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