Interviews

Auf ein Wort mit Ulrich Löns und Jörg Schneider

Ulrich Löns und Jörg Schneider

Jörg Schneider (Bass) stieß 1989, im Jahr des Mauerfalls, zum Rundfunkchor Berlin. Ulrich Löns (Tenor) ist seit 1994 Mitglied und war erst der zweite »Wessi« im Chor. Im Interview berichten die beiden Sänger, wie sie den Mauerfall und die anschließende Entwicklung des Chores zu einem Gesamtberliner Ensemble erlebt haben.

Jörg, du bist in der ehemaligen DDR aufgewachsen – wie bist du damals zum Sängerberuf gekommen?

Jörg: Mein Vater war Pfarrer und ich war recht aktiv in der jungen Gemeinde, was in der DDR nicht selbstverständlich und nicht besonders geschätzt war. Unter Umständen konnte es zu Komplikationen führen, wenn man aus seinem Glauben bestimmte Konsequenzen gezogen und z.B. den Wehrkunde-Unterricht in der Schule verweigert hat. Ich habe auch den Waffendienst bei der NVA abgelehnt und bin zu den Bausoldaten gegangen. In der DDR war das für die Auswahl eines Studiums ein echter Hinderungsgrund. Eigentlich wollte ich Lehrer werden, das ging dann nicht mehr. Ich bin dann über Umwege zur Kunst gekommen und hatte das Glück, dass ich trotzdem Gesang studieren durfte. Es war nicht selbstverständlich, dass man solche Entscheidungen getroffen hat, und für die musste man dann geradestehen. Manch einer durfte nicht mal Abitur machen.

Wo wart ihr, als die Nachricht des Mauerfalls sich verbreitete?

Ulrich: Ich war in Detmold in meiner Studentenbude. Wir hockten da vor unserem klitzekleinen Schwarzweißfernseher und dann kam die Nachricht, dass die Mauer geöffnet wird. Ich fand das wahnsinnig klasse und völlig unerwartet. Ich weiß noch, wir haben gekocht und dann haben wir gesagt: »Kommt, wir kochen jetzt Leipziger Allerlei, zur Feier des Tages«. Das war total lustig.

Jörg: Wir hatten eine Aufnahme an dem Tag und danach war ich zuhause. Wir hatten vor, am Samstag, dem 11. November eine Studentendemo für mehr Freiheit an den Universitäten zu machen, und da ich ein Verbindungsmann für die Leute von der Musikhochschule war, habe ich zuhause gewartet, für den Fall, dass noch jemand vorbeikommt, um etwas Organisatorisches zu besprechen.

Daniel Barenboim und die Berliner Philharmoniker haben kurz nach dem Mauerfall, am 12. November 1989, ein Konzert für die DDR-Bürger in der Philharmonie gegeben. Und du, Jörg, warst dabei – was war das für ein Erlebnis?

Jörg: Das war ganz großartig. Vorher sickerte die Information durch, dass man sich vormittags an der Philharmonie Karten holen kann, und da stand dann in langer Reihe die ganze Ostberliner Musikszene. Das war dann das erste Mal, dass ich die Philharmonie betreten habe. Die Stimmung war unglaublich. Es gibt einen Videomitschnitt und da sieht man, wie ergriffen die Leute waren – nicht nur die im Publikum sondern auch die auf der Bühne. Da dabei zu sein, war ein ganz großes Erlebnis.

Wie war es für Dich, endlich auch in West-Berlin singen zu dürfen?

Jörg: Ich habe ja in Berlin studiert und aus dem Stockwerk der Gesangsabteilung in der Hanns-Eisler-Hochschule schaute man über den Mauerstreifen auf die angeleuchtete Philharmonie und dachte, da kommt man nie hin. Irgendwann war es plötzlich so weit, dann ging man da ein und aus. Das ist natürlich großartig.

Es war dann aber irgendwie auch folgerichtig, denn die Stadt hat sich in einem rasenden Tempo vereinigt, besonders musikalisch. Die Möglichkeit, in der Philharmonie Konzerte zu singen, war faszinierend, aber die Philharmoniker haben dann z.B. auch im Konzerthaus gespielt. Auch heute noch ist es für mich aber eine Genugtuung und keine Selbstverständlichkeit, nach einem Konzert in der Philharmonie im Sommer mit dem Fahrrad durchs Brandenburger Tor zu fahren. Und das Konzert, das wir vor kurzem zu Petrenkos Antritt auf der ehemaligen West-Seite des Brandenburger Tors gesungen haben – das war etwas ganz Besonderes.

Ulrich, wie hast du den Chor bei Deinem Eintritt erlebt? Hast du Unterschiede zwischen west- und ostdeutschen Chören wahrgenommen?

Ulrich: Ich fand die Leute alle total sympathisch. Ich komme aus dem Münsterland, da sagt man: »Bis man jemanden kennt, hat man zusammen einen Sack Salz gegessen“. Aber die Berliner, Ost und West, waren sehr offen, da gab es gleich viele freundschaftliche Kontakte. Ein Unterschied in der Arbeitsweise war die ausgeprägte Solidarität zwischen den Sängern. Man hat als Einzelperson für ein Ganzes gearbeitet. Vom Westen her war ich gewohnt, dass man zwar miteinander arbeitet, aber auch seine Ellenbogen ausfährt und jeder so seine Schrullen hat. Hier beim Rundfunkchor war immer gleich klar: Wir arbeiten wirklich mit- und füreinander.

2019 feiern wir auch noch ein zweites Jubiläum: Welche Bedeutung hatte die Gründung der ROC vor 25 Jahren für den Rundfunkchor Berlin?

Jörg: Es ist natürlich so, dass die Musikszene aus dem Osten nicht einfach problemlos in das wiedervereinigte Berlin integriert wurde. Es ist ja kein Geheimnis, dass viele Betriebe die Wende nicht überstanden haben und das war natürlich auch in der Musikwelt so. Der Rundfunkchor Berlin war durchaus in Gefahr. Und dann war da natürlich die große Unsicherheit: Wird dieses Ensemble bestehen bleiben? Wir haben nachts Plakate geklebt, um darauf aufmerksam zu machen, dass wir in unsicheren Verhältnissen leben und nicht wissen, ob es eine Finanzierung und eine Trägerschaft gibt. Das war ein langwieriger Prozess, bis sich dann 1994 die ROC gegründet hat.

Das Konzert 30 Jahre Mauerfall am 9. November findet in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche statt, einem Symbolort für Westberlin. Ist der Rundfunkchor Berlin zu einem Chor der ganzen Stadt geworden?

Jörg: Nicht nur zu einem Chor der ganzen Stadt, sondern auch zu einem internationalen Ensemble. Wir wurden von vielen Orchestern international eingeladen und die Arbeitsweise internationalisiert sich so natürlich. Heute haben wir auch viele Nationalitäten im Chor, spiegelbildlich zu Berlin, wo Menschen vieler verschiedener Kulturen zusammenleben und die Stadt reicher machen. Das ist für uns im Chor eine ganz selbstverständliche Sache. Wenn hier jemand vorsingt, dann spielt es keine Rolle, wo die Person herkommt. Es ist toll, dass wir zusammen singen und leben.

Wie viel Ost und West ist heute noch im Chor vorhanden?

Ulrich: Mit der Zeit gab es da beim Arbeiten keinen Unterschied mehr. Aber ich finde schon, dass es teilweise noch Ost und West in den Köpfen gibt. Und es hat ja irgendwie auch seine Berechtigung, dass man sich seine unterschiedlichen Erfahrungen nicht nehmen lässt.
Jörg: Natürlich. Es wäre schade, wenn man seine verschiedenen Identitäten und Erfahrungen negiert und einfach sagt: »Jetzt sind wir alle gleich«. Das ist ja gerade das Interessante an dem wiedervereinigten Deutschland, dass da unterschiedliche Menschen zusammengekommen sind. In unserem Falle hat das, glaube ich, gut geklappt, dass sich verschiedene Lebenswege verbunden haben und der Rundfunkchor Berlin ein erfolgreiches Ensemble geblieben ist und sich weiterentwickelt hat. Für mein Gefühl haben die Erfahrungen aus Ost oder West unsere künstlerische Arbeit eher bereichert. Man kann doch verschiedene Identitäten und Wurzeln in einer guten Gemeinschaft verbinden.

Was für Musik hört ihr privat?

Ulrich: Ich höre mittlerweile gar nicht mehr so viel Musik, weil mir das, was wir selbst machen, eigentlich reicht. Wenn, dann höre ich ausschließlich klassische Musik, sehr ausgewählt. Morgens höre ich Klassikradio und manchmal gehe ich in die Oper oder die Philharmonie.
Jörg: Ich höre sehr gerne Jazz und Musik aus anderen Kulturen. Von den Konzertreisen bringe ich mir immer CDs aus anderen Ländern mit und höre, was da so gesungen oder gespielt wird.

Auf welche Konzerte der aktuellen Saison freut ihr euch besonders?

Jörg: Ich liebe Berlioz’ »La damnation de Faust«. Beethovens 9. Sinfonie finde ich auch immer wieder toll und Mahlers 2. Sinfonie, die »Auferstehungssinfonie«, ist eines meiner Lieblingsstücke. Da kann der Chor in kürzester Zeit alle möglichen Farben präsentieren.
Ulrich: Ich freue mich immer wieder auf A-cappella-Sachen, z.B. die Werke von Brahms, die wir in China singen. Die sind so schön, dass es einem immer noch das Wasser in die Augen treibt. Eigentlich bin ich aber immer mit dem glücklich, was ich gerade machen kann. Wenn man in den Stücken, an denen wir gerade arbeiten, wirklich drin ist, dann ist das immer das Schönste.

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