Interviews

Auf ein Wort mit Gijs Leenaars

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Mit großem Erfolg leitet Gijs Leenaars seit Herbst 2015 den Rundfunkchor Berlin. Vor kurzem hat er seinen Vertrag um weitere fünf Jahre verlängert. Wir haben mit ihm über die Saison 2019/20 gesprochen.

Lieber Gijs, der Start in die neue Saison steht unmittelbar bevor. Wie plant man eigentlich das Programm für eine ganze Spielzeit?

Das ist natürlich ein ganzer Mix von Faktoren, man könnte auch sagen: ein kompliziertes Puzzle. Einerseits arbeiten wir mit mindestens drei Orchestern hier in Berlin zusammen, die oft lange im Voraus mit Anfragen auf uns zukommen – manchmal aber auch etwas kurzfristiger. Andererseits haben wir selbst auch immer einiges vor. Natürlich inspirieren uns dabei bestimmte Tendenzen in der Musikszene – etwa 2020 das Beethoven-Jubiläum. Mir fällt aber immer wieder auf, in was für einer Luxusposition wir hier in Berlin sind. Wir haben überhaupt keinen Mangel an spannenden Projekten und nicht immer kann man alles unter einen Hut bringen.

Die Saison beginnt mit Beethovens Neunter mit den Berliner Philharmonikern und Kirill Petrenko …

Darauf freuen wir und ich uns ganz besonders: unsere erste Zusammenarbeit mit Petrenko als Chefdirigent der Philharmoniker. Er ist einfach ein Wahnsinnsmusiker und da wollen wir ihm natürlich auch zeigen, was wir drauf haben. Nach all diesem Warten ist es dann ja auch in gewisser Weise der Anfang einer neuen Ära und es ist einfach toll, dass wir mit dabei sind. Aber auch danach wird diese Saison mit den Philharmonikern eine wirklich schöne: Beethovens »Fidelio« unter Petrenko, »Christus am Ölberge« mit Simon Rattle und ganz am Ende Mahlers Sinfonie Nr. 2 mit Gustavo Dudamel. Das wird sicherlich ein großes Fest.

Der Tanz in den Mai wird im nächsten Jahr ganz besonders. Was ist geplant?

Ja, wir werden zum zweiten Mal Gastgeber für das »Fest der Chorkulturen« sein und ganz viele unterschiedliche und herausragende Amateurchöre in der Philharmonie haben. Unter anderem werden Chöre aus Singapur, Brasilien, Südafrika und dem Libanon da sein und wir werden zusammen ein neues Werk uraufführen, das die Britin Roxanna Panufnik für uns komponiert hat. Ich durfte auch schon einen Blick in die Partitur werfen und finde es wunderschön. Sie hat das Stück so konzipiert, dass die Chöre aufeinander reagieren, und sie nutzt die jeweiligen Stärken und Besonderheiten der Chöre musikalisch aus. Generell ist ein wichtiger Teil ihrer musikalischen Sprache, dass sie sehr gerne damit spielt, verschiedene Harmonien übereinander zu legen. Ich würde es als zeitgenössische Musik beschreiben, bei der es aber wenig Übung braucht, Zugänge zu ihr zu finden. Außerdem finde ich es gerade derzeit besonders wichtig, noch einmal ein Zeichen dafür zu setzen, dass Musik das Gemeinsame betonen kann. Musik ist ein Ort, an dem man sich trifft und der nicht dazu dienen sollte, die eigene Identität auf Kosten anderer zu bestätigen. Panufniks Stück wird dann in Beethovens Ode »An die Freude« münden, die dann gleichzeitig auch Teil unseres Mitsingkonzerts ist. Ich freue mich schon sehr auf die Zusammenarbeit mit unseren MitsängerInnen und FreundInnen.

Im März geht der Rundfunkchor auf Zeitreise. Das nächste transdisziplinäre Projekt »Time Travellers« steht auf dem Plan. Worum geht es?

Richtig, bei »Time Travellers« werden wir Werke ganz verschiedener Komponisten singen, aber diese Werke sind Teil einer großen Erzählung, einer Dramaturgie. Dabei wird es darum gehen, wie wir und natürlich auch die Welt um uns herum sich verändern – in und mit der Zeit. Dafür wollen wir mit diesem Bild des Zeittunnels arbeiten. Der szenische Aspekt ist uns diesmal wieder sehr wichtig. Wir bekommen z.B. beim »human requiem« oder auch bei der RundfunkchorLounge, wenn wir oben im silent green stehen, häufig die Rückmeldung, dass es ein ganz besonderes Erlebnis ist, so umgeben von Klang, vom Klang der menschlichen Stimme zu sein. Da wollen wir anknüpfen und weitermachen.

Nach unserer aktuellen Brahms-CD wirst du dich auch in dieser Saison wieder als Orchesterdirigent zeigen. Wie ist das für dich? Ist es für dich etwas anderes, nur einen Chor oder dazu noch ein Orchester zu dirigieren?

Natürlich ist es ein Unterschied, aber im Endeffekt geht es immer ums Musizieren. Ich wollte, dass die Brahms-CD dem Chor gerecht wird, denn der Chor ist zu beidem in der Lage: feine a-cappella-Arbeit und Konzertsinfonik. Diese beiden Bereiche profitieren letztendlich auch voneinander. Und ich wollte das auf der CD miteinander vereinen. Natürlich spielt es eine Rolle, dass ich viel Erfahrung mit Gesang habe: Das beeinflusst meinen Zugang zur Musik. Das ist bei Dirigenten, die z.B. einen Streicherhintergrund haben, nicht anders. Für den Chor kann auch das sehr erfrischend sein – wenn ein Dirigent vielleicht gar nicht so viel Rücksicht nimmt (lacht). Das gibt einem einen neuen Blick auf die Musik und stellt einen auch vor Herausforderungen.

Was für Musik hörst du privat?

Sehr gerne höre ich Jazz und angejazzten Pop, aber da gerne alte Vokalsachen. Und im Moment – ein bisschen auch gezwungenermaßen – Michael Bublé, weil mein Sohn das liebt und fast jeden Tag in den CD-Player legt. Aber ich muss tatsächlich sagen, dass ich Musik nicht im Hintergrund hören kann. Meine Konzentration bewegt sich dann automatisch in Richtung Musik.

Hast du ein persönliches Highlight in der neuen Saison?

Es gibt viele. Aber in »Time Travellers« werden wir unter anderem »Nachklänge« singen von Robert Heppener, einem holländischen Komponisten, der nicht so viel geschrieben hat, aber den ich sehr schätze. In diesem Stück für vier Chöre hat er einen Text von Paul Celan vertont – auch wenn man den Text kaum wahrnehmen kann. Ich mag das Stück sehr und nach fast fünf Jahren beim Rundfunkchor finde ich es auch schön, dass es da durch Komponist und Autor auch eine Verbindung zwischen niederländischer und deutschsprachiger Kultur gibt.

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