Rote Messe


Das 2024 erstmals aufgeführte Projekt »Rote Messe« reiht sich ein die Erfolgsserie der interdisziplinären Produktionen des Rundfunkchores Berlin. Regisseurin Anna-Sophia Mahler und Chefdirigent Gijs Leenaars schaffen hier eine Erzählung des gesellschaftlichen Bruchs in Bild, Bühne und Musik.
Gioachino Rossinis spät entstandene »Petite Messe solennelle« ist ein seltsames Stück: eine Messe – und damit ein liturgisches Stück mit christlichem Inhalt –, die mit ihrer spärlichen Begleitung intim instrumentiert ist und damit stellenweise fast schon brüchig daherkommt. Und die musikalisch zudem mehr als einmal einen gewaltigen Drall in Richtung Oper vorweist – theatral, überbordend, doppelbödig. Kurz: Form und Inhalt scheinen sich hier voneinander entfernt zu haben, bilden keine Einheit mehr. Oder, wie es die Regisseurin Anna-Sophie Mahler, die für diesen Abend verantwortlich zeichnet, es im Gespräch ausdrückt: »Dass Jesus ans Kreuz genagelt wird, geht schonmal in einer gutgelaunten Arie unter.«
Im industriellen Ambiente des ehemaligen Drehstromkraftwerks und heute kulturell genutzen MaHalla nimmt Regisseurin Rossinis »Kleine Messe« zum Ausgangspunkt und bricht sie auf. Macht sie durchlässig. Kontrastiert sie mit dem, was mit aller Kraft draußen bleiben soll, damit die eigenen Privilegien aufrechterhalten werden können, die Messe weitergefeiert werden kann, ohne dass jemand die Party stört. Sie kombiniert die Messe dafür mit anderen Stücken wie Arnold Schönbergs »Pierrot lunaire« oder Luigi Dallapiccolas »Canti di prigionia«. Reibung entsteht. Neue Formen bilden sich aus. Formen von heute. Wenn man die Gegenwart hineinnimmt – die eigene Zeit, den eigenen Ort –, so wird die Musik, so Mahler, „wieder anders und neu hörbar“.
Mahler inszeniert mit dem Chor ein dekadentes Festgelage, das durch die Figur des „Pierrot Lunaire“ buchstäblich gestört wird. Es entsteht eine Erzählung vom Wandel unserer Zeit: von Privilegien, die angegriffen werden, von einer ins Wanken geratenen Gesellschaft vor dem Umbruch. Das Publikum ist Teil des Geschehens, die Halle ist Bühne und Zuschauerraum zugleich.
Galerie

© Gianmarco Bresadola

© Gianmarco Bresadola

© Gianmarco Bresadola

© Gianmarco Bresadola

© Gianmarco Bresadola

© Gianmarco Bresadola