»Musik (…) macht das Herz weich; (…) ganz still und ohne Gewalt macht die Musik die Türen der Seele auf«, schrieb die deutsche Widerstandskämpferin Sophie Scholl einmal in ihr Tagebuch. Und es stimmt: Bei allem Schrecklichen, das derzeit die Welt und die Demokratie erschüttert, kann die Kunst – und insbesondere die Musik – Trost spenden, Halt geben und Menschen zusammenbringen. Dies gilt in herausragender Weise auch für den Rundfunkchor Berlin. Anlässlich seines 100-jährigen Bestehens die Schirmherrschaft über die Jubiläumsfeierlichkeiten zu übernehmen, ist mir eine große Freude.
1925 als erstes Ensemble seiner Art gegründet, hat er die Kriegs- und Nachkriegswirren nicht nur überstanden, sondern sich zu einem der renommiertesten Chöre weltweit entwickelt. Nur wenige Einrichtungen haben so beeindruckend wie er die deutsche Wiedervereinigung im kulturellen Sinne begleitet und repräsentiert; unter- schiedliche Traditionen und Erfahrungen haben sich unter einem gemeinsamen Dach ergänzt und weiterentwickelt. Nicht nur die drei Grammy-Awards bestätigen dies und zeugen von der großen künstlerischen Bedeutung des Ensembles für die Musikszene.
Und selten war die Musik wertvoller als heute. Musik kann gemeinsame Sprache sein, kann gemeinsame Erfahrungen bescheren, wo unterschiedliche Herkunft ab- und ausgrenzt. Musik öffnet unbekannte Welten und weckt die Neugier auf andere Kulturen. Dass wir auf diese enorme Vielfalt nicht mehr einfach nur stolz sein können, sondern sie auch als Wert bewusst machen und lautstark verteidigen müssen – daran kann man angesichts des vieler orts wieder aufkeimenden Nationalismus nicht oft genug erinnern.
Hoffen wir, dass uns im alltäglichen Miteinander mithilfe der Musik gelingt, was in einem Chor und einem Orchester selbstverständlich ist: das Zuhören und Einfühlen, das Lauschen auf andere Stimmen, auf Takt und Tonart, auf Laut und Leise.
In diesem Sinne: Vielen Dank für Ihre Musik! Möge sie viele weitere Jahre die Herzen weit und die Türen der Seele aufmachen.
Prof. Monika Grütters
Mitglied des Deutschen Bundestags Staatsministerin für Kultur und Medien a. D.
»sagʼs mit Blumen!« Ob zum Geburtstag, zur Hochzeit, bei Traueranlässen – Blumen sehen nicht nur schön aus, sie vermitteln Botschaften oder Stimmungen, spenden Trost und verbinden. Zum 100. Jubiläum des Rundfunkchores Berlin haben wir sie deshalb als unser Kampagnenmotiv ausgewählt. So bunt und vielfältig wie ein üppiger Strauß ist auch die Geschichte dieses Ensembles und seine Kunst, die Chormusik. 100 Jahre: Das ist Anlass zu feiern und einen Blick auf die Geschichte zu werfen. Wir tun dies in 100 Momenten, erzählt von Menschen, die den Chor über ein Jahrhundert begleitet haben.
Dabei sind interessante, abwechslungsreiche und skurrile Geschichten ans Licht gekommen: Wer fuhr mit dem Fahrrad durch Berlin, um Sänger:innen zu rekrutieren? Wann bekam der »Rundfunkchor Berlin« seinen Namen? Und warum hob sich 2001 das Dach der Berliner Philharmonie? Rückschau und Ausblick, Tradition und Moderne – beide Pole, zwischen denen sich die Gegenwart spannt, beleuchten wir in unseren Jubiläumskonzerten in der Saison 2024/25.
Am 2. Oktober blicken wir nach vorn, bei einem moderierten Konzert unter dem Titel »Chor der Zukunft?«, und beschäftigen uns mit der Frage, wer wir in den nächsten 100 Jahren sein wollen und was geschehen muss, um zukunftsträchtig zu bleiben. Am 15. Februar folgt der Blick zurück auf die 100-jährige Geschichte:
Die Autorin Tanja Dückers schreibt einen Essay zur Geschichte des Chors und liest Auszüge daraus im Rahmen des Konzerts, bei dem musikalische Eckpfeiler aus 100 Jahren Rundfunkchorgeschichte auf dem Programm stehen. Auch werfen wir natürlich wieder einen Blick über den Tellerrand: Für »Flying Mozart« kooperieren wir mit der berühmten Breakdancegruppe Flying Steps und bringen mit ihr Mozarts Requiem in einer szenischen Fassung auf die Bühne.
Unser Jubiläumsfestakt im Konzerthaus Berlin am 31. Mai nimmt die Kunst der Chormusik in den Fokus. Mit Giuseppe Verdis »Quattro pezzi sacri« führen wir gemeinsam mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin ein Herzstück der Chorsinfonik auf. Eine Auftragskomposition von Isabel Mundry für Chor und Blasensemble sowie Ralph Vaughan Williamsʼ »Serenade to Music« runden den Abend ab.
Ein Jubiläum ist auch Anlass für eine Standortbestimmung: Was haben wir geschafft, wo wollen wir noch hingehen? In der Überzeugung, dass Musik für alle da ist, haben wir einen Ideenwettbewerb ins Leben gerufen, der die Frage nach neuen Formaten und mehr Zugänglichkeit in die Gesellschaft trägt. Und getreu der Überzeugung, dass jeder Mensch ein Recht auf Musik hat, singen wir in vier Museen, zu denen der Eintritt am Museumssonntag frei ist. Sie sind herzlich eingeladen, dabei zu sein.
Wir freuen uns auf Sie!
Gijs Leenaars (Chefdirigent und Künstlerischer Leiter)
und Rachel-Sophia Dries (Chordirektorin)
Zum 100. Chorgeburtstag ist es an der Zeit, nicht nur zurückzublicken, sondern sich auch die Frage zu stellen, wie ein »Chor der Zukunft« aussehen könnte. Unter dieses Motto stellt der Rundfunkchor daher sein erstes Jubiläumskonzert der Saison.
Wir wollen herausfinden: Wie kann eine Programmgestaltung der Zukunft aussehen? Welche Zugänge müssen geschaffen werden?
Diese Fragen können und wollen wir nicht allein beantworten, sondern möchten dazu auch Perspektiven aus der Gesellschaft einfangen, hat der Rundfunkchor Berlin einen Ideenwettbewerb ins Leben gerufen, der sich mit neuen Konzertformaten und ihrer Zugänglichkeit beschäftigt und an dem Abend vorgestellt wird.
In der Überzeugung, dass das Einbeziehen mehrerer musikalischer Perspektiven inspirierend und zukunftsweisend ist, sind im Heimathafen Neukölln auch musikalische Gäste aus anderen Musikstilen eingeladen.
So wird der Chor gemeinsam mit der Sängerin und Bağlamaspielerin Derya Yıldırım die vom Komponisten Taner Akyol eigens für diesen Anlass arrangierte politische Ballade »Göçmen Kuşlar« (Zugvögel) aufführen.
Auch die junge japanischstämmige Komponistin Aoi Hasegawa, die derzeit in Berlin lebt, wird mit der Uraufführung eines für diesen Anlass komponierten Chorwerks vertreten sein.
Kompositionen von Lili Boulanger, Amy Beach, Benjamin Britten und anderen aus ihrer Jugendzeit runden den Abend musikalisch ab. Moderatorin Boussa Thiam spricht mit Gästen, die mit ihrer Musik ganz selbstverständlich Grenzen auflösen.
»Innerlich beweglich und offen für Neues, immer im Wandel wie die Stadt Berlin, der Phönix aus der Asche selbst: Kein Chor könnte die Eigenschaften der Hauptstadt so gut wiedergeben wie der Rundfunkchor Berlin.«
So schreibt die Schriftstellerin Tanja Dückers in ihrem Essay zum Chorjubiläum, mit dem sie dieses ganz besondere A-cappella-Konzert lesend begleiten wird. Der Rundfunkchor Berlin blickt am historischen Ort singend zurück auf unglaubliche 100 Jahre.
Im großen Sendesaal des rbb, Heimstatt des Chores schon in seinen Anfängen, bringt er Werke zu Gehör, die in den vergangenen 100 Jahren wichtige Eckpunkte für das Ensemble waren und deren Komponist:innen grundsätzliche Fragen des irdischen Daseins
in Musik für die menschliche Stimme verwandelt haben: zu Chorwerken über Werden und Vergehen, über menschliches Zusammenleben und – über Politik.
Denn schließlich ist der Rundfunkchor ein Berliner; und die Berlinerin Tanja Dückers weiß, was das bedeutet: »Die Geschichte des Rundfunkchores Berlin ist eng verzahnt mit der Entwicklung Berlins. Musik und Kunst, Gesellschaft und Politik greifen angesichts der Historie des Rundfunkchores, der alle Stationen von Krieg, Teilung und Wiedervereinigung mitgemacht und -erlitten hat, auf faszinierende Weise ineinander.«
Dazu gehört, besonders an diesem Abend, auch das faszinierende Ineinandergreifen von Wort- und Tonkunst.
Das gab es noch nie: Rundfunkchor Berlin meets Breakdance! Im Jubiläumsjahr darf eine interdisziplinäre Produktion nicht fehlen. Mit »Flying Bach« wurden sie berühmt, auch zu Musik von Beethoven haben sie getanzt, aber mit einem Chor aufgetreten sind sie bisher nicht: Für die akrobatisch hochbegabten Tänzer:innen der gefeierten Tanzgruppe »Flying Steps« ist diese gemeinsame szenische Interpretation von Wolfgang Amadeus Mozarts »Requiem« ebenso absolutes Neuland wie für den Chor.
Mozarts berührende Trauermusik, vom Rundfunkchor Berlin gesungen, von Tänzer:innen verkörperlicht, wird in dieser Produktion zur Grundlage einer musikalisch-szenischen Erzählung über hochaktuelle Themen, die uns alle bewegen: Zukunftsängste, Bedrohung durch Kriege und Klimawandel, die Verantwortlichkeit und Gestaltungsmacht jedes einzelnen Menschen und damit verbunden die Frage: Was gibt uns trotz allem Hoffnung und Mut für die Zukunft?
Die unvollendet gebliebene Partitur von Mozarts letztem Werk wird dabei in einer Fassung für Orgel und Streichorchester zu hören sein. Es spielen die jungen Musiker:innen der Deutschen Streicherphilharmonie.
Das vierte Jubiläumskonzert ist der Musik selbst gewidmet. Den Abschluss des Jubiläumsjahres feiert der Rundfunkchor Berlin zusammen mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin und mit der Uraufführung einer mehrdimensionalen Komposition von Isabel Mundry.
Die Komponistin hat in die Konzeption ihres polyphon angelegten Werks auch die räumlichen Möglichkeiten des Konzertsaals mit einbezogen und dafür gesorgt, dass das Publikum ganz und gar von Musik umgeben sein wird.
Mit Giuseppe Verdis »Quattro pezzi sacri« wird der Chor außerdem eines der Herzstücke seines Repertoires aufführen: ein ungemein facettenreiches Werk, das filigrane A-cappella-Balance und große Chorsinfonik in sich vereint.
Vaughan Williams’ »Serenade to Music«, in der Mitglieder des Chores auch ihre solistischen Fähigkeiten unter Beweis stellen, komplettiert das Programm des Festkonzerts mit einer tief empfundenen Huldigung an die Musik. In den Worten von William Shakespeare heißt es darin: »Here will we sit and let the sounds of music / Creep in our ears«, oder in der Übersetzung August Wilhelm von Schlegels: »Hier sitzen wir und lassen die Musik / Zum Ohre schlüpfen«.
Genau so soll es sein.
2025 feiert der Rundfunkchor Berlin sein 100-jähriges Bestehen. Wir möchten diesen Anlass nutzen, um die Zukunft des Chors gemeinsam mit möglichst vielen Menschen zu entwickeln. Mit unserem Ideenwettbewerb »Chor der Zukunft?« suchen wir nach Ideen für Konzertformate, die neue Perspektiven auf Chormusik eröffnen und möglichst inklusiv gedacht sind.
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