Chorsingen kann man nicht studieren – und so haben wir die Akademie und die Schola gegründet, um Gesangsstudierenden etwas von der Faszination der Arbeit im Profichor zu vermitteln und ihnen einen Einblick in das Berufsleben als ChorsängerIn zu geben. Was aber macht es so attraktiv, im Rundfunkchor Berlin zu singen? Sabine Eyer (Alt) und Jörg Schneider (Bass) liefern die Antworten.
Was macht es so reizvoll, im Rundfunkchor Berlin zu singen?
Schneider: Schon während meines Studiums in Berlin habe ich gemerkt, dass man im Rundfunkchor alle Genres singen darf und ausfüllen muss. Und das fand ich als Musiker reizvoller als die Arbeit im Opernchor, obwohl ich die Oper auch sehr liebe. Aber beim Rundfunkchor Berlin singen wir Romantisches und Modernes mit Riesenorchestern ebenso wie A-cappella-Werke und klein besetzte Kammermusik. Und wir machen szenische Projekte – es gibt so gut wie nichts, was wir nicht schon gesungen hätten, seit ich dabei bin. Das ist ein großer Luxus.
Eyer: Bei mir war es so, dass ich eigentlich ans Theater wollte. Ich habe im Chor gesungen, seit ich denken kann. Ich war im Kinderchor, später im Extrachor in meinem Heimattheater in Hagen. Dann hatte ich Gastverträge als Solistin mit einem Theater – und war fürchterlich unglücklich. In der Zeit sang meine damalige Lehrerin mit dem Rundfunkchor Berlin in Köln Mahlers »Auferstehungssinfonie«. Ich saß da kurz vor Ende meines Studiums im Konzert und dachte: Das möchte ich auch! Kurz darauf gab es eine Ausschreibung zur freien Mitarbeit beim Rundfunkchor Berlin. Ich wurde genommen und bin geblieben. Es war einfach Liebe auf den ersten Blick mit diesem Chor.
Ist chorisches Singen also schöner, als Solist zu sein?
Schneider: Wenn bei Mahlers Zweiter aus dem Nichts heraus ein homogener und ganz leiser Chorklang entsteht, ist das ein wirklich magischer Moment – nicht nur für das Publikum. Es ist auch als Sänger ein unglaubliches Gefühl, wenn man gemeinsam mit seinen Kollegen einen Klang erzeugt, den man allein gar nicht erzeugen kann. Im Rundfunkchor Berlin singen wir natürlich auch auf allerhöchstem Niveau: Mit den Berliner Philharmonikern unter Simon Rattle beispielsweise das Brahms-Requiem zu singen oder mit anderen weltbekannten Dirigenten und Solisten – das ist gelebte Musikgeschichte. Und gerade Werke wie das Brahms-Requiem erlebe ich viel intensiver, wenn ich es im Chor singe.
Ist es eventuell auch leichter?
Schneider: Nein, im Gegenteil. Ich habe sehr viel solo gesungen, und die Arbeit im Chor finde ich subtiler und anstrengender. Als Solist ist man allein für sich verantwortlich, wenn mal ein Ton kippelt, ist das meine Sache. Aber wenn der gesamte Chor in der neunten Sinfonie von Beethoven »Seid umschlungen, Millionen« unisono singt und einer aus der Reihe tanzt, dann hat er der ganzen Gruppe die Tour vermasselt. Das ist nervlich sehr anstrengend. Man muss für die Arbeit im Berufschor nicht nur ein guter Sänger sein. Man sollte außerdem teamfähig und in der Lage sein, auch mal seine eigenen Spitzentöne zurückzunehmen, damit man gemeinsam den bestmöglichen Sound erzeugt. Man muss Lust haben, mit anderen Menschen gemeinsam etwas zu tun.
Was euch reizt, ist also die musikalische Seite und gleichzeitig das Gemeinschaftsgefühl?
Schneider: Das gehört unmittelbar zusammen. Wenn man als Gruppe gut funktioniert, dann kann man auch als Gruppe gut singen. Wenn die Gruppe nicht funktioniert, wird man das irgendwann hören. Natürlich gibt es mal Meinungsverschiedenheiten, aber ein Chor ist eine Art Gesellschaftsmodell. Wir leben miteinander, wir verbringen viel Zeit miteinander – nicht zuletzt auf den langen und ausgedehnten Tourneen. Und die Stimme transportiert ja das, was man gerade fühlt: Wenn es einem nicht gut geht, merkt der Nachbar das sofort. Und stützt einen dann.
Eyer: Das ist das Schöne: Man arbeitet mit vielen verschiedenen Menschen gemeinsam an einer Sache. Mir geht es tatsächlich so, dass die Emotionen, die man als Gruppe transportiert, stärker sind, als wenn ich irgendwo allein stehe. Wenn einer aus der Gruppe sagt: »Ich kann nicht mehr«, sagen die anderen: »Komm, wir schaffen das«. Man ist als Gruppe stark, und trotzdem bleibt jeder eine eigenständige Persönlichkeit.
Gilt das nicht genauso für einen Opernchor?
Eyer: Ich habe einmal in einem Sommertheater im Opernchor gesungen. Da hielten die Kollegen auch sehr zusammen. Mir hat das Riesenspaß gemacht, aber ich habe doch gemerkt, dass mein Herz am Konzert hängt.
Schneider: Meine Erfahrungen sind ähnlich. Ich habe in meiner Anfangszeit als Gast im Staatsopernchor gesungen und es war toll, mit sehr netten Kollegen. Aber wir haben hier im Rundfunkchor Berlin eine einzigartige programmatische Mixtur. Hier machen wir auch Inszenierungen mit Kostüm und Maske wie zuletzt bei »LUTHER dancing with the gods«. Aber es ist jedes Mal etwas Besonderes für uns und wird nie Routine. Zurückgegangen ist dagegen die Arbeit im Studio, denn heute werden Aufnahmen eigentlich nur noch live produziert. Ich bin fast 30 Jahre im Rundfunkchor Berlin, und früher haben diese Studioaufnahmen einen charakteristischen Teil unserer Arbeit ausgemacht. Dass man wirklich Feinschliff betreibt vor dem Mikro, das ist dann doch etwas anderes als das Singen im Konzert. Und dann kommt noch etwas hinzu, was eigentlich ein eigenes Thema wäre: unsere vielen Reisen. Ich empfinde sie als enorm bereichernd. Es ist nicht nur schön, dass wir die ganze Welt zu sehen bekommen, von Japan bis Südamerika, von den USA bis Australien. Es ist auch faszinierend, Musik in andere Länder zu tragen und zu sehen, wie die Menschen dort reagieren. Oder wie zum Beispiel ein Projekt wie das »human requiem« in anderen Kulturkreisen funktioniert. Diese rege Reisetätigkeit gehört auf jeden Fall zu den Besonderheiten des Rundfunkchores Berlin.