Interviews

Auf ein Wort mit Melinda Parsons

Foto Melinda Parsons, Sopranistin im Rundfunkchor Berlin

Die Sopranistin Melinda Parsons ist seit 2007 Mitglied im Rundfunkchor Berlin. In der Bildungsinitiative SING!, die das Singen wieder zum selbstverständlichen Bestandteil des Schulalltags an Berliner Grundschulen machen will, engagiert sie sich von Beginn an als SING!-Patin. Die Idee der Initiative ist es, Grundschulkinder an die Kunstform Singen heranzuführen und ihnen den Spaß daran zu vermitteln. Das gemeinsame Singen soll die positive Stimmung an Schulen fördern – sowohl unter den Kindern als auch im Lehrer-Kollegium.

Das neue Schuljahr hat gerade begonnen und die Bildungsinitiative SING! startet ins sechste Jahr. Du engagierst dich als Patin in dem Projekt seit seinem Anfang. Was ist deine Aufgabe?

Als SING!-Patin besuche ich die Klassen meiner Patenschulen und stelle einen persönlichen Kontakt zu den SchülerInnen her. Ich erzähle ihnen von meiner Arbeit im Profichor. Die wenigsten wissen, was ein Rundfunkchor ist. Außerdem sollen sie erleben, wie sich eine unverstellte, natürliche Stimme anhört. Deshalb singe ich ihnen etwas vor. Was sie im Radio oder im Fernsehen hören, ist ja oft nicht mehr authentisch, sondern manipuliert und mit dem Mikro verstärkt.

Wie sieht so ein Patenbesuch konkret aus?

Den genauen Inhalt und Ablauf des Besuchs erarbeite ich im Vorfeld mit der Musikpädagogin von SING!, Christina von Nell. Sie hilft uns SING!-Paten mit ihrer Erfahrung als Pädagogin, die Schulstunde aufzubauen. Wenn ich eine Klasse besuche, mache ich zunächst einmal ein Einsingen –  das ist für die Kinder eine Entdeckung ihres Körpers: Sie erfahren, was ihre Stimme alles kann, was ihr Körper für Geräusche machen kann. Die Kinder sollen eine Verbindung zu ihrem Körper aufbauen, ihn »aufwecken«. Dadurch höre ich, was sie schon können und wie weit sie sind, und richte mich dann im weiteren Verlauf des Besuchs danach: Alle Kinder sollen mitmachen können, auch die schwächsten. Anschließend singe ich etwas vor. Es ist interessant, wie die Kinder reagieren, wenn sie die Schallwellen spüren. Die Jungen kichern oft, weil sie damit überfordert sind. Den Mädchen geht der Mund auf und sie starren. Dass jemand unverstärkt und live mit der Kopfstimme singt, das erleben sie sonst nicht. Dann gehört noch dazu, dass ich erzähle, wie das Sängerleben aussieht, was ein Profichor ist und was den Beruf einer Sängerin im Rundfunkchor Berlin ausmacht.

Es heißt immer, dass Kinder nicht mehr singen, vor allem in Deutschland nicht. Wie ist deine Erfahrung: Ist das Singen den Grundschulkindern tatsächlich fremd?

Ich habe eigentlich das Gefühl, dass es gerade einen regelrechten Sing-Boom gibt und dass wieder mehr Kinder zum Singen kommen. Was das Thema Volkslieder in Deutschland angeht, erleben wir Gott sei Dank, dass diese Lieder wieder gesungen werden. Die gehören zu Deutschland, ohne irgendeinen Hintergedanken. Das sind Lieder, die seit hunderten von Jahren gesungen werden. Und ich finde es wichtig, dass man sie weiterhin singt, dass man Lieder in der eigenen Muttersprache singt. Ich denke, die Kinder kommen auch mit anderen Sprachen leichter in Kontakt, wenn sie in der jeweiligen Sprache wie zum Beispiel Japanisch, Italienisch oder Türkisch singen. Das kann verbinden, wenn ein Kind weiß: »Aha, du sprichst diese Sprache zu Hause und wir singen jetzt in dieser Sprache ein Lied.« Insgesamt habe ich schon das Gefühl, dass an Grundschulen mehr und mehr gesungen wird. Es sollte allerdings noch mehr dafür getan werden, dass auch die Lehrkräfte mit der Kopfstimme singen können. Vielen ist das fremd. Und wenn die Lehrkräfte es nicht können, ist es auch für die Kinder schwerer, weil sie sich nicht an den Lehrkräften orientieren können. Deshalb ist es auch Teil unserer SING!-Initiative, die Lehrkräfte an den teilnehmenden Schulen im Singen mit Kindern fortzubilden.

Spürst du einen Erfolg deiner Arbeit?

Ich besuche die Kinder in der Regel zweimal im Jahr. Die eigentliche Arbeit wird von den Chorleiterinnen geleistet, die im Rahmen der Initiative Chöre an den teilnehmenden Schulen aufbauen und leiten. Da spüre ich dann natürlich die Entwicklung: Wenn eine Schule diese Chorarbeit macht, haben die Kinder einen besseren Zugang zu ihrer Stimme. Auch die Jungs singen dann mit Freude und schämen sich nicht. Und die Auftritte der Chöre an ihren Schulen oder bei unserer Liederbörse sprechen für sich. Das ist ein Erfolg.

Wie bist du zur SING!-Initiative gekommen?

Ich hatte schon immer viel mit Kindern zu tun. Zu Studienzeiten habe ich als Assistenz-Hausmeisterin in einer Highschool gejobbt. Neben meiner Tätigkeit beim Rundfunkchor Berlin betreue ich aktuell als Lehrbeauftragte an der Universität der Künste die Stimmbildung mit den Knaben des Staats- und Domchores Berlin. Deshalb hatte ich von Anfang an Lust, SING!-Patin zu sein. Die Erfahrungen, die ich als Patin gesammelt habe, möchte ich nicht missen. Ich bin bis heute gern dabei.

Hängt deine Begeisterung auch damit zusammen, dass du aus Australien kommst? Ist Singen da »normaler« für Kinder?

Nein. Als ich in der Grundschule war, wurde ein Band abgespielt und wir haben »Obladi-Oblada« und sowas gesungen. Aber auch in Australien wird immer mehr gesungen – man weiß inzwischen einfach, wie wichtig das Singen für die Entwicklung des Gehirns und der Persönlichkeit ist. Dass ich aus Australien komme, hilft mir aber, einen schnellen Zugang zu den Kindern zu bekommen. Die wissen viel über australische Tiere. Ich gehe mit meiner Haifisch-Puppe, mit einem Koala oder einem Känguru in die Klasse rein, und es entwickelt sich sofort ein Gespräch mit den Kindern.

Ist das Singen im Rundfunkchor Berlin ein Traumberuf?

Ja und nein. Ich finde das Wort Traumberuf falsch. Beruf hat für mich in erster Linie etwas mit Lebensunterhalt zu tun. Ich würde lieber sagen: Berufung. Ich bin persönlich zum Singen berufen worden und dazu, die Menschen damit zu berühren. Dass ich davon leben kann, ist ein Privileg. Ich habe im Rundfunkchor Berlin eine halbe Stelle. Das ermöglicht mir, noch andere Tätigkeiten auszuüben, ohne Existenzängste zu haben. Es gibt im Englischen das Sprichwort: »Variety is the spice of life«. Abwechslung ist mir wichtig. Ich bin solistisch ausgebildet worden und brauche diese Solo-Auftritte. Ich unterrichte an der Universität der Künste. Und das Chorsingen bringt wieder andere Herausforderungen. Ich bin dankbar, dass ich das alles miteinander verbinden kann. Im Rundfunkchor Berlin erlebt man viele magische Momente, zuletzt bei Haydns »Schöpfung« mit Simon Rattle und den Berliner Philharmonikern. Da gibt es Momente wie im Traum, da bekomme ich eine Gänsehaut. Aber auch Aktionen wie die BVG-Kampagne machen sehr viel Spaß – diese Vielfalt und dieser Mut, immer wieder Neues zu wagen: Das schätze ich besonders am Rundfunkchor Berlin.

Welche Musik hörst du privat?

Musik, die mich in Bewegung bringt. Viel Funk und Soul aus den 70ern und 80ern, auch Pop mit etwas komplizierteren harmonischen Strukturen, wie Stevie Wonder zum Beispiel.

Und was sollte man in dieser Saison beim Rundfunkchor Berlin nicht verpassen?

Robert Schumanns »Das Paradies und die Peri« im Mai 2018. Das wird unsere letzte Zusammenarbeit mit Simon Rattle als Chefdirigent der Berliner Philharmoniker.

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