Interviews
Auf ein Wort mit Marion Fabian

Am 26.06. begrüßen wir Sie herzlich zur RundfunkchorLounge im Heimathafen Neukölln. In dieser Ausgabe widmen wir uns dem Thema »Apokalypse«. Als engagierte Klimaaktivistin und Sprecherin der Bewegung „Letzte Generation“ hat Marion Fabien bereits Impulse im Kampf gegen den Klimawandel gesetzt und ist zusätzlich als Klang- und Konzeptkünstlerin tätig. Vorab erzählt Sie uns etwas mehr über sich.
Würden Sie sagen, dass Sie schon ihr ganzes Leben Aktivistin sind oder ist das etwas, das sich erst später bei Ihnen entwickelt hat? Wie kam dieses Bewusstsein bei Ihnen auf?
Einen Grundstein hat sicher meine christliche Großmutter gelegt, die mir ihre Werte liebevoll mit Grießbrei eingetrichtert hat. Früh brannte ich für Gerechtigkeit, Ehrlichkeit, Menschlichkeit. Engagement war also immer schon tief in mir verwurzelt, vielleicht liegt es sogar auf einem genetischen Abschnitt. Die ersten 25 Jahre schlummerte es im Privaten, denn politisiert wurde ich erst durch die Neue Deutsche Frauenbewegung in den Siebziger Jahren. Durch Erfahrungen und Erkenntnisse im Verlauf meines Lebens konnte sich die Leidenschaft voll entfalten, erkannte ich die Brisanz von Themen wie Gleichberechtigung, Faschismus, Antisemitismus und die drohende Klimakatastrophe und befähigte mich, mein Wissen in aktives Handeln umzusetzen, um etwas zu bewegen. Seit ich berentet bin, kann ich Vollzeitaktivistin sein. Mit Herz und Verstand in Einklang bin ich bereit, mich in meiner letzten Lebensphase mit aller Kraft für eine lebens- und liebenswerte Zukunft der nachwachsenden Generationen einzusetzen. Die Klimagerechtigkeitsbewegung Letzte Generation bildet das Dach, unter dem sich meine Interessen und Einsatzgebiete versammeln. Das
macht mich glücklich. Und seit dem Jahreswechsel 2022/23 springe ich dafür jeden Morgen aus dem Bett.
Sie sind auch Klang- und Konzeptkünstlerin. Inwiefern beeinflusst Ihre Tätigkeit als Aktivistin Ihre Kunst? Oder vielleicht auch andersherum?
Ich glaube fest an die transformative Kraft der Kunst. Sie hat so viel Potenzial, Menschen zu berühren, zu inspirieren und zum Nachdenken zu bewegen. Diese Überzeugung durchzieht mein Handeln. Der Einsatz auf der Straße spiegelt sich in meinen künstlerischen Projekten wider. Gleichzeitig schöpfe ich aus meiner Kunst Kraft und Inspiration für den Aktivismus. Die kreativen Prozesse ermöglichen es mir, komplexe Emotionen und Gedanken auszudrücken und Verbindungen zu Menschen zu schaffen, die sich durch trockene wissenschaftliche Fakten allein nicht angesprochen fühlen. Durch die symbiotische Beziehung zwischen Kunst und Aktivismus wird meine Arbeit nicht nur vielseitiger, sondern auch kraftvoller und wirksamer. Ich plädiere in den Widerstands- und Arbeitsgruppen der Letzten Generation dafür, mehr Kunst in die Protestformen einzubringen. Performances auf Protestmärschen oder die Integration von künstlerischen Elementen in Demonstrationen können die Sichtbarkeit unserer Anliegen und Forderungen erheblich verstärken. Gleichzeitig möchte ich in die Kunst mehr frechen, radikalen Protest einbringen. Es ist hoch an der Zeit, sich stärker zu vernetzen. Das macht derzeit einen erklecklichen Teil meiner Arbeit aus. Künstlerinnenverbände, das Bildungswerk des bbk, die Initiative DIE KUNST, VIELE ZU BLEIBEN und einzelne Kunst- und Kulturschaffende zusammenzubringen mit politischen Aktivistinnen, um gemeinsam gegen rechtsextremistische Kräfte vorzugehen, hat viel Potenzial und ist mir eine große Freude. Es unterstreicht die gegenseitige Beeinflussung und Verstärkung von Kunst und Aktivismus.
Wo wir von Klang sprechen, was denken Sie über die Rolle von Musik in Protestbewegungen? Wie kann sie hier tatsächlich etwas bewegen?
Wenn es nach mir ginge, könnte Musik eine viel größere Rolle spielen. Ich bin aber auch stark auditiv geprägt, das Ohr und das Hören sind meine Erkenntnisinstrumente. Wir kennen Protestlieder aus früheren Widerstandsbewegungen und Hymnen, die Bürgerrechtskämpfe begleitet haben und immer noch gespielt und gesungen werden. Sie wecken Emotionen und stärken das Gemeinschaftsgefühl. Auf den ungehorsamen Versammlungen der Letzten Generation und bei Sitzblockaden erklingt häufig Musik. Ob Liedermacherinnen mit Gitarre oder Trommelgruppen, verschiedene Musikgenres finden im Protest ihren Platz. Ich würde gern einmal ausprobieren, was zeitgenössische Musik bewirken kann. Wenn einmal nicht eingängiger Sound ertönt, sondern ein Ensemble seine Instrumente auspackt und die Apokalypse improvisiert.
Sie wären ja wahrscheinlich keine Aktivistin, wenn Sie nicht noch ein Stück Hoffnung hätten, dass sich die „Klimaapokalypse“ noch abwenden lässt. Wie schätzen Sie unsere Chancen derzeit ein?
Ja, so ganz ohne Hoffnung wäre es schwierig, die notwendige Energie und Entschlossenheit aufzubringen, die der Aktivismus erfordert. Unsere Chancen hängen maßgeblich von der Politik, vom kollektiven Handeln und dem Willen zur Transformation ab. Die Wissenschaft zeigt klar, welche Maßnahmen nötig sind, und die Technologien, um diese umzusetzen, stehen zur Verfügung. Was wir brauchen, ist der politische Wille und die gesamtgesellschaftliche Unterstützung, um Maßnahmen entschlossen und konsequent durchzuführen. Der Wandel muss schneller gehen, wir müssen raus aus den fossilen Energien. Die Menschen, die unermüdlich für den Klimaschutz kämpfen, haben natürlich Hoffnung, dass wir die notwendigen Veränderungen erreichen können. Das Zusammenspiel von Politik, Technologie, Wirtschaft und gesellschaftlichem Engagement ist entscheidend, um klimatauglich zu werden und eine nachhaltige Zukunft zu sichern. Soweit die Utopie. Die Dystopie ist angesichts der zunehmenden todbringenden
Klimaereignisse jedoch keinesfalls auszuklammern. Um den Faden zur Kunst noch einmal aufzunehmen. Ich konzipiere gerade ein Klangkunst-Projekt, das die apokalyptischen Reiter aus der Offenbarung des Johannes auf die Klimakatastrophe überträgt.