Interviews
Auf ein Wort mit Doris Zucker
Doris Zucker nimmt im Sommer ihren Abschied vom Rundfunkchor Berlin – nach 31 Jahren. Sie begann ihre Berufslaufbahn im Opernchor in Cottbus und war dann langjährige Solistin an den Opernhäusern von Brandenburg/Havel und Erfurt, ehe sie nach Berlin zurückkehrte und Mitglied des Rundfunkchores im Alt wurde.
In wenigen Tagen werdet ihr das »human requiem« erneut im Radialsystem aufführen. Wie erlebst du diese besonderen Vorstellungen?
Das ist das Schönste, was mir begegnet ist im Laufe der Jahre. Ich war ja vor meinem Eintritt in den Rundfunkchor Berlin zwölf Jahre am Theater. Das war für mich eine sehr spannende Zeit und deshalb war ich glücklich, als ich von der Idee des »human requiem« hörte. Das ist genau meins! Ich freue mich jedesmal riesig darauf. Am Anfang hatten wir schon ein bisschen Sorge. Das Brahms-Requiem ist unser „Leib- und Magenstück“. Und wir hatten die Sorge, dass es auf eine falsche Bahn gerät, wir wollten nicht mit Händen und Füßen deklamieren. Aber das tun wir auch nicht – die Sprache spricht für sich. Deshalb nenne ich es auch nicht „szenische Aufführung“. Wir stellen das Stück in den Raum, es wird greifbar fürs Publikum. Während im Konzert mit Orchester der Text oft hinter dem Ganzen zurücktritt, bekommt das Publikum hier jedes Wort hautnah mit. Die Menschen verstehen wirklich, was wir singen.
Wieviel bekommst du vom Publikum mit?
Ich habe die ganze Stunde lang intensiven Kontakt zum Publikum. Man bekommt sofort eine Reaktion – von Anfang an. Da weiß mein Nachbar noch nicht, dass ich gleich anfangen werde zu singen. Und wenn wir dann im Pianissimo beginnen, dann geht so eine ganz kleine Bewegung durch den Menschen, er verharrt ganz still und hört mir zu, wir fangen ja erst nach ein paar Minuten an, uns zu bewegen. Dann kann ich ihm ins Gesicht sagen – singend: Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden. Da kommt mir so viel Freude und Liebe entgegen, das ist unglaublich.
Bereitest du dich auf das »human requiem« anders vor als auf traditionelle Konzerte?
Wir treffen uns vor jedem Konzert eine Stunde vorher, um uns einzustimmen – gemeinsam mit dem musikalischen Leiter. Da findet man sich in dieses Gefühl hinein, auf der Bühne zu stehen. Dann ist die Spannung da und dann freuen wir uns alle, dass es gleich losgeht. Beim »human requiem« ist die Spannung noch größer. Viele Kollegen sagen, wenn die erste Phrase gesungen ist, dann ist alles gut, dann bin ich drin. Man weiß ja nicht, wer einem da gegenüber stehen wird. Ich selbst habe keine Scheu, den Leuten ins Gesicht zu sehen – durch meine Theatererfahrung, wo ich mit einem Partner oder einer Partnerin interagieren musste.
Hast du schon unangenehme Reaktionen erlebt?
Nie. Aber viele schöne Reaktionen! In Hamburg kam mal eine ältere Dame auf uns zu und sagte: Ich muss jetzt keine Angst mehr haben. Das war so schön!
Ihr habt das »human requiem« an vielen Orten und Spielstätten aufgeführt. Im Juni kommen Aufführungen in Istanbul hinzu. Was sind die Herausforderungen des Projektes auf Tournee?
Das macht keinen Unterschied. Am Anfang war die Frage, wie Menschen reagieren werden, die die Sprache nicht verstehen. Aber auch das funktioniert. Da kommt die Musik mehr zum Tragen, und die ist einfach unglaublich schön. Das Stück ist natürlich vielen bekannt. Und selbst wer das Stück nicht kennt, den berührt die Musik – und ich hoffe auch unser Gesang.
Galerie
Doris Zucker in Aktion
© Matthias Heyde
© Peter Adamik
© Peter Adamik
© Peter Adamik
Hat sich das Stück im Laufe der Zeit verändert?
Wir haben einen neuen Dirigenten und einen neuen Co-Dirigenten – und Gijs legt das Stück schon ein bisschen anders an. Aber an den Gängen und Bewegungen hat sich nichts geändert. Wenn man das ein Jahr nicht gesungen hat, denkt man immer, ich muss mir das wieder anschauen. Aber auch die Bewegungen sind alle sofort wieder da, die vergisst man nicht.
Gibt es Erlebnisse, die dir besonders in Erinnerung geblieben sind?
Einmal haben wir das »human requiem« unter freiem Himmel gemacht, in Spanien, da blinkten die Sterne auf uns herab – das war schon sehr besonders. Und in Frankreich fingen nach der Vorstellung ein paar junge Leute auf einmal an, vor lauter Begeisterung die Sitzkissen in die Luft zu werfen. Das hat dann der ganze Saal aufgegriffen, und überall flogen die Sitzkissen in die Luft, das war fantastisch. Aber eigentlich ist jede Aufführung besonders.
Du wirst im Sommer pensioniert. Was wirst du am meisten vermissen?
Die Atmosphäre während der Konzerte. Und die Arbeit am Chorklang – das macht Gijs in meinen Augen sehr gut. Jeder hat seine eigene Technik hierfür und alle Stimmen in eine Form und einen Klang zu bringen, ist nicht so einfach. Das macht mir sehr viel Spaß.
Was nimmst du aus deinen 31 Jahren beim Rundfunkchor Berlin mit?
Ich habe sehr gut hören gelernt. Ich hatte vorher nicht viel Chormusik gemacht, das war eine ganz schöne Umstellung. Ich musste auch lernen, vom Blatt zu singen, das habe ich vorher nie gebraucht. Schön ist das Miteinander, das man in den Konzerten spürt. Und was haben wir für tolle Dirigenten und Orchester erleben dürfen! Ich bin glücklich, dass ich die gesamte Ära Rattle mitmachen durfte. Rattle ist ein wunderbarer Musiker und auch ein wunderbarer Mensch. Er hat uns immer gezeigt, dass er uns mag, und dafür hat er auch unsere ganze Kraft und Energie zurückbekommen.
Hast du schon Pläne für den Ruhestand?
Viele. Ich werde auf jeden Fall weitersingen, Lieder, vielleicht auch wieder Chansons. Ich werde weiterhin zum Unterricht gehen, das mache ich einmal im Monat, weil sich immer wieder Dinge einschleichen, die einem selbst nicht bewusst werden. Es gibt einem Sicherheit, wenn man weiß, man kann alles singen – auch mit 64 noch. Ich will bei meiner Lehrerin ein bisschen einsteigen in die Organisation ihrer Kurse. Ich werde einen Nähkurs machen. Und ich will besser Französisch lernen. Ich konnte ja nie regelmäßig zur Abendschule gehen, weil immer Konzerte dazwischenkamen. Und ich werde wieder ins Schauspiel gehen, das habe ich sehr vermisst. Mir wird nicht langweilig werden.
Welche Musik hörst du privat?
Alles, was gut ist. Auch Jazz, Blues, Soul und Liedermacher – am meisten die Franzosen, Chansons liebe ich sehr. Aber an erster Stelle steht Bach, an ihn kommt kein anderer ran. Auch Bach habe ich hören gelernt. Die Kunst der Fuge anzuhören war für mich früher Arbeit. Jetzt ist es Vergnügen, jetzt höre ich, was da alles drin steckt – und denke mir immer: Wie kann man so etwas schaffen? Aber ich mag alle Musik, die gut gemacht ist.